Der Grandseigneur des deutschen Chansons muss kaum bis zum Grund tauchen, um nichtsdestominder Tiefe zu erzielen – in den eigenen Liedern und solchen anderer, die er mit Bariton und Grandezza zu den seinen werden lässt. Der kleine, grüne Kaktus, die Veronika, der Lenz, all die leichten Köstlichkeiten aus den Zwanzigern und Dreißigern machte Max Raabe salonfähig, als der deutsche Pop zwischen den lange erloschenen NDW-Feuern und bedeutungsflacher Launenhaftigkeit schwächelte. Sein Wunder dauert an, in Frack und Fliege, die Contenance wahrend, flamboyant und diszipliniert.

Seine prätentiöse Art ist bemerkenswert. Ultraleichte Blasiertheit flackert auf, wo sie muss, und mischt sich mit vornehmer Zurückhaltung eines Künstlers, der das Großtuerische freilich nur als Bühnenoutfit in Momenten trägt, die dazu dienen, „just one of those things“ wie Goldstaub dem Auditorium zuzuwedeln. Er konnte nichts Besseres tun, als Ende der Achtzigerjahre sein Palastorchester zu gründen. Ein fideles Dutzend mit einer einzigen Frau unter Männern! Max Raabe und seine Getreuen haben Kultstatus erreicht. Bis zur Carnegie Hall sind sie gekommen und kommen immer wieder.

Jahrzehntelang litt ich an notorischer Unterschätzung des Raabe’schen Klangkörpers, obwohl es schon Ende der Neunziger Feten mit mir gab, bei denen Frauen aus ihren Pumps Champagner schlürften und „Kein Schwein ruft mich an“ in der Dauerschleife geschmettert wurde, bis die Herzen der Stolzesten gebrochen waren … Wir tanzten beschwipst auf Küchendielen, sangen vom Balkon aus in mondklare Nächte, aßen Garnelen, und der Schampus nahm kein Ende. Ekstatische Zeiten. Erst viel später vermag ich nun die lyrische Lust des Headquarters erkennen zu können. Wie er mit Worten spielt, schwerelos wie sonnenbadende Orientmohnblütenblätter, dichterisch kompakt vernetzt zwischen Alltagsrelevanzen und melancholischer Vollwertkost. Kein schwermütiges Fünkchen, bei dem Max Raabe nicht auch einen Schimmer Zuversicht aufblitzen ließe. Ich nenne es das „mäxische Moment“, ein lakonisches Lächeln mit elegantem Grübchen.
„Der perfekte Moment … wird heut‘ verpennt“ ist wie Schokolade zum Frühstück, marzipanumhüllt. Im „unplugged“-Modus von Samy Deluxe als Gast sonnenbrillenobercool auf Hochgeschwindigkeit gerappt. Vollkommener Gegensatz! Das Palastorchester hält Linie mit Ukulele und Banjo als melodiöse Sahnetupfer. Das Telefon, das kann mich mal, das Smartphone ist auf leis‘ gestellt. Dem Himmel sei Dank, dass der kleine Max, damals noch als Matthias, den Weg in den Kirchenchor der Kleinstadt Lünen (Unna) gefunden hatte. Jetzt singt er göttlich:

„Heute mach ich gar nichts.
Keinen Finger krumm.
Ich bleib zu Haus
Und liege einfach nur so rum.
(…)
Das, was ich tu:
Kühlschrank auf
Und wieder zu.“

Im Banalen liegt das Tiefgründige, in der Einfachheit steckt viel Substanz. Er versteht es, die kleine Welt groß werden zu lassen, formt aus einem schwebenden Staubfussel einen Diamanten. Der perfekte Moment wird nicht verpennt, sondern hier festlich zelebriert. Das Palastorchester spielt herrlich altmodisch. Klarinette, Posaune, Violine. Dazu: Saxophone, und auch noch ohne „f“, wie reizend! Köstliche Arrangements, die uns unkaputtbar bis zum Einschlafen über die Lippen flöten, und dieses Lied geht noch weiter, es wirkt nach bis in die Träume.

Leck mich am Arsch, Corona – das Ohrwurmvirus des Palastorchesters ist stärker als du. Heute mach ich gar nichts, nur Kühlschrank auf und wieder zu.