Hameln-Pyrmont (ey). „Ich habe Dutzende Whats-App-Nachrichten erhalten, als die ersten Hochrechnungen bekannt gegeben worden waren. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß die Erleichterung bei Millionen Franzosen ist“, sagt Monique Schulz. An diesem Sonntag, 14. Juli, ist französischer Nationalfeiertag. Geboren in der Grande Nation, wohnhaft in Hessisch Oldendorf (im Landkreis Hameln-Pyrmont leben 55 Menschen mit französischer Staatsbürgerschaft), ist sie „absolut froh, dass der Rechtsruck ausgeblieben ist, denn es wäre eine Katastrophe gewesen. Für Frankreich und für Europa!“ Vielen Landsleuten und solchen, die sich mit dem Land verbunden fühlen, spricht sie aus der Seele.

Seele ist ein wahrlich gutes Stichwort: Die hatte gelitten in den vergangenen Wochen und Monaten. Die Unzufriedenheit in Frankreich war größer und größer geworden. Millionen Menschen demonstrierten. Die einen gegen Einschnitte bei den Landwirten, die anderen gegen die Anhebung der Lebensarbeitszeit. Gründe gab es viele. Präsident Macron im Kreuzfeuer der Kritik. Die rechtspopulistische Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen ließ überdies am geeinten Europa kein gutes Haar, ließ zuweilen erahnen, einen „Frexit“ nicht auszuschließen. Dass die aufgeheizte Stimmung nach den Parlamentswahlen, Teil 2, und kurz vor dem Nationalfeiertag (14. Juli / Sturm auf die Bastille) jetzt abgekühlt ist, macht nicht alle froh, aber eine Mehrheit.

Probleme bleiben dennoch. Bekanntlich hatte völlig überraschend das linke Bündnis gewonnen. Der RN landete nur auf Rang drei, Macrons Partei dazwischen. Nach dem ersten Wahldurchgang zwei Wochen zuvor war das nicht zu erwarten, standen die Rechtspopulisten ganz oben. Es kam anders: „Zunächst einmal eine Erleichterung, aber jetzt eine stabile Regierung zu formen, das wird schwierig“, sagt Uwe-Michael Fanio, Vorsitzender der Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) Hameln, deren Mitglieder an diesem Sonntag den 14. Juli feiern wollen – wie in jedem Jahr. Ohne den Franzosen zu nahe treten zu wollen, müsse man klar feststellen, dass sie „mit politischen Kompromissen nicht so gut zurechtkommen beziehungsweise damit keine Erfahrung haben“. Und zwischen Jean-Luc Mélenchon, Anführer des siegreichen Linksbündnisses, und Präsident Macron „liegen Welten“, weshalb es viele Beteiligte geben werde, „die über den eigenen Schatten springen müssen, um Frankreich wieder auf Kurs zu bringen“, so Uwe-Michael Fanio. Nicht allein Frankreich – sondern Europa!

Denn kein Europa ohne ein starkes Frankreich. Und kein geeintes Europa ohne eine vitale Partnerschaft zwischen Deutschland und der Grande Nation! Aber hier könnte sich ein schwerwiegendes Problem ergeben: Angeblich soll Mélenchon ein Deutschland-Hasser sein; so wurde er zumindest in vielen Medien dargestellt. „Wenn das stimmt, wird er seine Einstellung ändern müssen, denn nur als Partner können diese beiden Länder Europa stabilisieren“, ist sich Isabelle Vanoli sicher, Tünderanerin mit elsässischen Wurzeln. Ihre Verwandten, ihre Freunde in der alten Heimat, sie alle seien aufgrund des Wahlausgangs zurzeit sehr erleichtert. Nichtsdestotrotz gebe es große Probleme. „Wir hatten alle so große Erwartungen in den jungen Präsidenten Macron gesetzt. Aber er hat bei Weitem nicht alle erfüllt. Es gibt eine Landflucht; die ländlichen Regionen sind vernachlässigt worden. Das nehmen ihm viele übel“, sagt Isabelle Vanoli. Wie es jetzt weitergeht? „Spannende Frage. Die Zeit wird zeigen, wohin die Reise geht.“

WhatsApp-Nachricht einer Freundin aus der Bretagne an den HALLO: Auf Anfrage schickt Annie Chauvelon, die Deutschland sehr gut kennt und lieben gelernt hat, aktuelle Informationen zur derzeitigen Situation: „Die Franzosen haben der Regierung zu verstehen gegeben, dass sie es satthatten! Bei der zweiten Runde der Wahlen haben sie sich mit Vernunft ausgedrückt und bleiben nun aber sehr besorgt und wachsam, was in Paris in den nächsten Tagen geschieht. Man spürt die Besorgnis bei den Menschen und eine düstere Stimmung verbindet uns – als ob wir uns endlich der Gefahr gemeinsam bewusst geworden sind. Die zu starken Rechtsradikalen haben die Franzosen geweckt und sie endlich zur Brüderlichkeit aufgerufen. Die Situation in Paris bleibt sehr unsicher, weil die neu gewählten Abgeordneten sich nicht einigen können und der Präsident stur bleibt. Eine riesige Besorgnis und überhaupt keine friedliche Laune umhüllt das ganze Land.“ Es fühle sich an, als ob man, so Annie Chauvelon, „einen Kater hätte und wir nach einem schlimmen Albtraum wach geworden sind“.

Wohl kein Zitat könnte als Fazit dieser übers Knie gebrochenen Wahlen besser dienen als die Nachricht, die Monique Schulz von ihrer Cousine erhalten hat: „Wir sind der Katastrophe knapp entkommen … die Zukunft wird heller, aber wir müssen wachsam bleiben.“