Wer zum achten Geburtstag ’ne schwarze Rille Rüdes vom ältesten Bruder erhielt, sollte nicht davon ausgehen, nach diesem prägenden Donner durch AC/DCs „Let There Be Rock“ später allen Ernstes beim Mahavishnu Orchestra und Miles Davis zu landen. Den inneren Schweinehund, dessen grunzendes Bellen den Jazz als knödeliges Gefuddel abservierte, habe ich im Laufe der Jahre aber gezähmt, mehr noch: Ich öffnete mein Herz grundsätzlich für die Musik – und finde sie einfach nur unabhängig vom Genre entweder schlecht, so lala, gut oder genial. Auf Sarah Vaughan trifft genial zu.
Hits wie „Make yourself comfortable“ und „Broken hearted melody“ mögen diese, meine Annahme bestätigen, jedoch das riesige Potenzial wahrhaftig begnadeter Künstler aus der Eins-mit-Sternchen-Kategorie immer auch dort zum Vorschein kommt, wo sie einer vertrauten Melodie mit ihrem Zutun neues Terrain ebnen. Herrje, wie viele Krücken irrten schon dermaßen unterkühlt durch Gershwins „Summertime“, dass man glaubte, im Herzen dieses voller Blütenrausch und Rosé-Sekt-Laune gefüllten kompositorischen Kunstwerks die nächste Eiszeit auszumachen! Nun ist festzustellen: Sarah Vaughan, Jahrgang 1924, war gemessen daran, dass „Summertime“ der meistgecoverte Song weltweit ist, eine der ersten, die das 1933 fertiggestellte Werk singen durfte – und hat deshalb wahrscheinlich die schlimmsten Dilettanten nicht ertragen müssen.
Sie schenkt dieser weltbekannten Sommerzeit unübertrefflich viel Wärme. In den tiefsten Tiefen ihrer Stimme der Effekt knisternder Scheite noch zum jungen Morgen im Kamin des Wohnzimmers, während die jungfräuliche, unverbrauchte Welt mit Trompetenbaumdüften durch das geöffnete Fenster schleicht. Andererseits ihr leichtes, nur zart angedeutetes Vibrato, das den Anschein macht, die Nachmittagshitze würde unverzüglich über uns niederschweben, nicht lähmend, sondern lässig wirkend.
Sarah Vaughan singt „Summertime“ so berührend, dass schnell in Vergessenheit gerät, ein Lied zu hören, das aus Gershwins Oper „Porgy and Bess“ entstammt, die das Leben von Afroamerikanern in der Schwarzensiedlung Catfish Row in Charleston, South Carolina, um 1870 zum Thema macht. Nicht gerade eine Traumgegend, keine mit Rosé-Sekt, aber die Arie, die schon Blues in ihren Bahnen führt, verdaut die Melancholie des Moments und kehrt sie in Zuversicht und Freude. Friedliche Sommerstimmung, frei von Sorgen, eine Ode an die Einfachheit des Lebens. Sarah Vaughan gelingt es, in ihrer Art mit ihrer Stimme ein leises Lied in den leuchtenden Talar des Festgesangs zu kleiden. Das ist hier sonst nur noch Ella & Louis gelungen. Bravo!