Lieber Himmel, ich habe sie live erlebt in der Music Hall Hannover, wo mich Billy Gibbons, Dusty Hill und Frank Beard so begeistert hatten, dass ich samt weiblicher Begleitung in einer Ronnenberger Trattoria Pizza fraß, noch bevor die drei von ZZ Top überhaupt bei den Zugaben angekommen waren … Gibbons und Hill trugen seltsame Wollmützen, die aussahen wie die gehäkelten Präservative für Klopapierrollen auf der Hutablage silbermetallicfarbener Ford Mondeo. Sie bewegten sich fast nicht, einzig ihre Bärte vibrierten über den Saiten ihrer Instrumente. Ich mutmaßte, die Zottel würden gleich Feuer fangen. Es wäre mir aber viel lieber gewesen, dass ich Feuer gefangen hätte, ganz und gar inniglich natürlich, für den Beat des arktiscoolen Trios aus Houston, Texas. Doch kein Funke sprang über. Nicht damals, nicht live.

Was insofern verwundert, als dass „La Grange“ als Bluesrock-Perle niemals nicht an seiner ruppigen Textur einbüßt; ich hätte vermutlich wenigstens bis zu diesem knusprigen Knetermann warten sollen. Hinterher ist man immer schlauer, die Pizza hat trotzdem geschmeckt. „La Grange“ lasse ich von Zeit zu Zeit eben jetzt zu Hause aus den Boxen donnern, um mal das Zimmer durchzulüften. Gibbons knödelt den Gesang der 1973er Nummer, als Single aus dem dritten Top-Album „Tres Hombres“ entnommen, dergestalt grunzig hinaus, als verputze er gleichzeitig Bratkartoffeln mit Speck und Bohnen.

Drummer Beard tackert zu Beginn nur die Rahmen seiner Trommeln; es hört sich an, als tanze ein Zwerglein in Cowboystiefeln über‘n whiskybepfützten Thekentisch. Dann aber donnert sie los, die heißblütige Hommage der „tres hombres“ an ein Bordell namens Chicken Ranch in der Nähe der texanischen Stadt La Grange, deren Wirkung nie verpufft. Hills Basslinie grummelt wie der Magen eines hungrigen Wolfs, während seine beiden Bandkollegen das wilde Tier mit crunchy-knackigem Beat auf die Jagd schicken. Wie zu erfahren ist, war „La Grange“ der letzte Song, den die drei ZZs noch aufs bereits fertige Album hievten. Gibbons schnappte sich ’ne ganz olle, derbe Stratocaster – und dann nahmen sie die Moritat vom Rotlichtmilieu in einem einzigen Take auf! Vielleicht erklärt sich das explosive Moment genau aus diesem Fakt: Ungeschminkt, roh und rau kommt die Stimmung des Bluesrocks eben immer noch am besten rüber.