Ich dürfte ihn mir genau genommen gar nicht anhören; zu tief geht mir manches ans Herz, zu tränenreich ende ich im Delta seiner Lieder. Wolfgang Niedeckens melancholische Texturen sind fulminant, so groß wie schwarze Löcher, so rauschend wie ein reißender Strom, selbst in den leisesten Tönen. Wer das Lyrische seines Stils vor dem Hintergrund des Kölsche Zungenschlags nicht gleich wahrzunehmen in der Lage ist, möge sich Zeit nehmen, um zu verstehen, dass sich dahinter ein gutes Wesen befindet, das zuweilen in einfachen Sätzen ein ganzes Universum erklären kann.

„Jeht klar, kein Frooch
– et ess alles okay,
och die kostbarste Momente
jonn vorbei.
Schon klar, doch – hey –
dat deit nit ens wieh.
All die Aureblecke
nimmp mir keiner mieh.“

Es sind purpurne Flüsse, auf denen Niedeckens Dichtung einem Meer entgegenfließt, dessen Weite aus all den guten Gedanken besteht, die er und seine Band BAP in all den Jahren seit Ende der Siebziger mit Worten, Taten und Träumen gefüllt haben. Es mag seltsam anmuten, dass mich „All die Aureblecke“ aus dem 2011er Album „Halv su wild“ als vergleichsweise simples Melodiengefüge mehr gefangen nimmt als vieles andere, wo doch die Rockattitüde dieser Gruppe trotz wechselnder Besetzungen nie an Kraft verloren hat. Noch dazu es markige Nummern aus Niedeckens Feder gibt, die vermutlich wichtiger waren für sie, für ihn, für alle, wenn ich an „Kristallnaach“, „Widderlich“ oder „Diego Paz Wohr Nüngzehn“ denke; Lieder, die von Kriegen erzählen, schlimmer Gewalt, unerklärlichem Hass und aalglatten, machtgeilen Politikern. Es sind Songs, die uns außerdem vor Augen halten, in welcher Komfortzone wir hier leben.

Und noch wichtiger: dass wir bereit sein sollten, diese, unsere Komfortzone als friedliche Basis zu nutzen, um den scheißhausfliegenverrückten Neonazis, Kriegstreibern, Weltverschwörern und Diktatoren ein Gegengewicht zu sein, die Stimme zu erheben gegen Unrecht und Leid. Niedeckens BAP war und ist immer mehr gewesen als Musik – dieser Mann sollte uns allen als Korrektiv dienen. Er singt mit einer Stimme ohne Plattitüden und meint es ernst, auf diese Weise Licht ins Dunkel zu bringen.

„Sick ich denke kann,
wohr alles Rock’n’Roll.
alles uss der Hüfte,
ohne Protokoll.“

Ohne Protokoll, ja, das mag sein, aber er nutzt den Rock’n’Roll, er spielt ihn nicht nur, der Wolfgang aus Köln, der Maler, Autor, Texter, Musiker. Es gibt wenige Künstler in der deutschen Popkultur, die die Kernprobleme unserer Gesellschaft mit treffenderen Worten umschreiben können. Das versteht man übrigens auch op Kölsch, hier muss sich keiner doof stellen!

„All die Aureblecke“ – keine Gesellschaftskritik, kein Urteil über Politiker – geht mir trotzdem genauso nahe. Im Spiegel der Vergangenheit erscheint „dä Wääsch“, der Weg, den wir gegangen, und es gibt keinen Grund, an diesem Pfad zu zweifeln. Nicht alles war richtig, aber wenig war falsch. Leise umschmeichelt der Beat den Blick zurück nach vorn. Seiden gespielte Saiten erfüllen den Raum, Keyboardklänge schweben wie Frühnebel um die kernige Stimme Niedeckens, die zwischen Sinn und Sinnlichkeit jeden Ton vergoldet. Es ist ein behutsamer Gefühlskoloss, der hier von der Leine gelassen wird und der uns wieder einen Spiegel vorhält: den unserer Vergangenheit. Werden wir in fernen Tagen auch in Scherben liegen, dieser Spiegel bleibt in einem Stück unser Vermächtnis.

Ich kaufe ’ne Kiste Kölsch und lerne jetzt den Text. Klappt. Janz bestemmp.