Von Jens F. Meyer

Schräg. Da hörte ich „Am Fenster“ am Fenster meines Jugendzimmers sechs Jahre, nachdem die Nummer 1977 auf die Welt gekommen war, schleppte die Melodie Jahrzehnte mit mir herum, um fünfzig Jahre nach Gründung der Ostrockgruppe City entdecken zu dürfen, dass sich im Songbook dieser Berliner Bande noch andere Perlen befinden. Merke ich jetzt, da die Herren mit letztem Album und letzter Tournee den Schlussstrich unter ihre Karriere ziehen. Bin ich ein Blitzmerker.
„Wand an Wand“ klingt überwältigend. Die Berliner Philharmoniker zupfeln und streichen die Nummer hymnisch zum Epos empor. Weil City sich Matthias Reim bedient, dessen Timbre klingt, als ob er heiße Schraubensuppe zum Frühstück gurgelt, knetert hier ein Gegensatz aus Vlies und Feuer aus den Lautsprecherboxen, der zum Abheben klingt. Verdammt, ich lieb‘ es!

„Wenn Du lachst,
klingt es herüber,
wie aus einem andern Land.
Wand an Wand.

Feine Alltagspoesie stürmt uns hier in die Muscheln, eine Welle aus Neugier und Wehklage. Da sind die zwanzig Zentimeter Mauer, die zwei Welten unter einem Dach voneinander trennen. Unwillkürlich drängt sich bei City der Eindruck auf, dass es hier auch um eine Grenze geht, eine innerdeutsche. Der Stacheldraht ist fort, aber Mauern in den Köpfen sind geblieben. Schweres Gepäck.