Aus einem ungehobelten Rudel an rumsfidelen Bluesrockböllern die größte Kracherrakete herauserkennen zu wollen, die wie das Sonnenfeuer über orange gefärbten Wolken brennt und als just dieses gleißende Höhenlicht ein ganzes Album zu umgürten weiß, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Longplayer „Still got the blues“ ist gespickt mit radikal rußenden Flammenwerfern, die noch nach Jahrzehnten wie Tabak und Asche duften, als wenn bestes Zeugs gerade gezündet worden wäre. Vielleicht aber ist mir „Moving on“ als krawalliges Kunstwerk aus diesem heiß lodernden Dutzend nicht etwa als Blitz-und-Donner-Sprengstoff für diese HitStory in die Rübe gemurmelt, sondern es ist eine persönliche Geschichte, die sich dahinter verbirgt. Denn ich schreibe hier über eine Platte, die im März 1990 gar unmodern war und die dreißig Jahre später im Lockdown zu mir fand. Am Hintertürchen einer Hamelner Buchhandlung. Ich bin so dankbar!

That’s why I’m movin‘ on
I’m movin‘ on
I’ve been hangin‘ around
too long
It’s time I was movin‘ on

Ich wollte Gary Moores heißes Eisen, mit dem er dem Hardrock nach dem enttäuschenden Album „After the war“ goodbye gesagt und in gelöster Scheißegalstimmung sich auch dem Stress nach Singlehits entsagt hatte, seit Langem kaufen. Peter Peschke, Inhaber des Fachgeschäfts, in dem auch CDs und Langspielplatten verkauft werden, wusste das und meldete sich als treuer Leser der Hi(t)Story telefonisch bei mir. „Herr Meyer, für ’nen Fünfer lege ich Ihnen die ’Still got the blues‘ zu Ihren bestellten Gartenbüchern dazu.“ Als ich am Lieferanteneingang klingelte, wäre ich vor ihm fast auf die Knie gefallen. „Mensch Herr Peschke, für ’nen Fünfer!“ Selten habe ich Geld besser angelegt.

Eine atemberaubende Scheibe. Abgesehen davon, dass Moore – Ironie des Schicksals – mit dem Titelsong seinen größten Singlehit verbuchte, was er überhaupt nicht plante, wirkt „Moving on“ wie der Turbo eines musikalischen Zwölfzylinders. Kaum ein Opening Track, der eine rasantere Fahrt aufnimmt. Und nur 2,38 Minuten kurz! Reicht, um die Stimmung auf Siedepunkt hochzufahren. Moore rasiert jede Sekunde, erledigt triste Gedanken mit jedem Bending. Graham Walker an den Drums tost wie ein Hurrikan bis zum Finale, das nicht durch eine Ausblende kastriert wird. Ein letztes Riff nimmt die Basslinie in sich auf und verglüht. Supernova, bevor der zweite Song heranrumpelt, als wäre er der Morgenstern eines Ritters in spielerischem Gefecht. „Moving on“ – weiter geht‘s. Ein besseres Credo können wir uns alle jetzt nicht backen, also nehmen wir das!

Unter dem Radar
vieler Kritiker

Gary Moore – ein Musiker, der unter dem Radar vieler Kritiker flog. Selbst in der zweiten Auflage des Rock- und Pop-Almanachs von Frank Laufenberg, einem Standardwerk aus den Achtzigerjahren, das bei mir zu Hause vergilbt und zerfleddert neben der Musikanlage liegt, taucht er nicht auf. Zudem sprach mal ein anderer Autor Moore die Fähigkeit ab, über das Niveau eines Stadtfestmusikers hinauszugelangen. Ich weiß nicht, was den Typen geritten hat. Wenn so ein Kaliber wie Gary Moore auf dem Hamelner Stadtfest gespielt hätte, wäre ich heute noch betrunken davon.
Jedenfalls: Da ist sie nun, meine Fünfer-Scheibe, die für Moore nach seinen Jahren als Hardrocker das Portal in den Blues war. Sein Genre war es fortan, die derbe Stringenz der Rockmusik mit dem filigranen Fingerspiel einer Bluesform zu verbinden. Das Ergebnis knistert wie Zuckerkristalle am Glasrand eines Sundowners.