Stillstand und Aufbruch sind wie Funken und Feuer, bedingungslos nah beieinander, so sehr verbunden, dass das eine nicht ohne den anderen kann. Wenn Phil Collins, für die moralinsauer nörgelnden Altherrenschmierlappen der Genesis-von-gestern-Fans zu Unrecht auf ewig als Niemand gebrandmarkt, mit wenigen, fast unbuchstabierbaren Zwischentönen aus angerauter Kehle „Throwing it all away“ live vor Zehntausenden Fans aufpoliert, bedient er sich einer für die populäre Musik elementaren Eigenschaft: Emotion.

Nichts Verkopftes, das uns und ihm die Brise aus den Segeln nehmen würde, die zwischen Wehmut und Demut auf neuen Kurs gesetzt sind. Collins rasiert, schreitend auf den warmen Akkorden Mike Rutherfords, dem gefälligen Popstück live das Quäntchen Langeweile weg, das es auf dem 1986er „Invisible Touch“-Album als Ballast mit sich führt, indem er anfangs und zum Finale Selbst- und Mitlaute implantiert, die nichts heißen, aber alles bedeuten: „Sidalee-ee-o, Sidalee-ee-oo“. Oder so ähnlich.

Vielleicht brach es einfach nur spontan aus ihm heraus

Vielleicht hat sich dieser tolle Musiker nichts dabei gedacht, vielleicht brach es während einer Probe einfach so aus seinem Innersten heraus und er sah die Chance, die Fans damit zu einem Chor zusammenzuschmieden. „Sidalee-ee-oo“ ist gewiss die überwältigendste Textzeile, die jemals aus der popkulturellen Ursuppe spontan ans Licht gerührt wurde. Ich habe sie mitgesungen und singe sie noch immer. Sogar mit Ausrufungszeichen und „yeah-yeah“ gesalzen. Was immer es bedeuten soll, es macht den Schnief über erkaltende Liebe und schwere Gefühle zu einem monumentalen Mutmacherlied und kehrt die Kernaussage wie selbstverständlich ins Gegenteil. Das geht tief.

Throwing it all away. Alles hinter sich lassen. Das bedeutet ja auch, neu anzufangen. Ein nächster Horizont ist sichtbar, die Sonne wird scheinen, größer und weiter als unser Herz es fassen kann; die neuen Ufer sind zum Greifen nahe. Stärke wird uns umarmen, und all die guten, alten Seilschaften aus scheidender Epoche bleiben fest vertäut. Es geht nicht allein um Liebe, es geht um alles, was uns Menschen berührt, um Freundschaft, Teamgeist, Zuneigung, um Werte und all das Wir in uns. Das bleibt, wenn wir wollen.

Who’ll light up the darkness.
Who will hold your hand.
Who will find you the answers
When you don’t understand.

Was aus dem Takt gerät, findet wieder seinen Rhythmus. Manchmal dauert es länger, bisweilen geht es schnell. Wäre ich gehalten, diesen Alles-hinschmeiß- und Neustart-Song jemandem zu widmen, fiele mir mit den Vorwerk Teppichwerken in Hameln eine ganze Firma ein. Wo knapp die Hälfte der Belegschaft entlassen wird, brauchen sie bestimmt keine Tränen, sondern Wind für ihre Segel. Die, die gehen müssen. Und die, die bleiben dürfen.

Klar wäre „The Carpet Crawlers“ da jetzt cooler gewesen, aber der so irrwitzige wie höchst seltsame Erguss aus der Gabriel’schen Genesis-Dekade ist bereits Bestandteil der HALLO-Hi(t)Story und online abrufbar im HALLO-Pop-Archiv. Außerdem heißt es da frei übersetzt: „Teppich-Krabbler, die rufen, dass sie hineinkommen müssen, um wieder hinauszukommen. Die Flöhe klammern sich an das Goldene Vlies. In der Hoffnung, dass sie Frieden finden. Jeder Gedanke und jede Geste sind in Zelluloid gefangen.“ Klingt nicht nach Mutmacher. Deshalb lieber „Sidalee-ee-o!“ oder Sussudio oder so was in der Art.