So, Freunde, ich muss mich hier mal für gar nichts entschuldigen, damit das klar ist. Ich war bei Howard Carpendale im Konzert und es war gut. Ich war bei den Wildecker Herzbuben, das war auch gut. Rein dienstlich, es ließ sich kein anderer Kollege finden. Selber schuld. Meinen Horizont hat’s erweitert, und ich danke meinem alten Kulturredaktionsboss und Freund Richard „Ricki“ Peter, unserem heutigen HALLO-Chefkoch, dass er mich damals losschickte mit den lieben Worten: „Ich brauche den Artikel bis morgen früh.“ Ob Carpendale oder Wildecker, da waren Vollprofis am Werk. Und nur weil Lionel Richie „Say you, say me“ kokonös um den Erdball geklebt hat, ist er noch lange kein Langeweiler. Den habe ich nämlich auch live erlebt. Er war nicht nur gut, er war sogar saugut.

Saugut ist einer, der die Schwelle zwischen Musiker und Entertainer spielend überschreitet, ohne auf die Schnauze zu fallen. Ich hab’s erlebt, in der Stadionsporthalle Hannover, die nicht dazu angetan ist, einem König des Soulpops zur Ehre zu gereichen. Wie oft habe ich mich über die Soundprobleme in der schäbigen Schüssel geärgert – und bin dennoch wieder hingefahren. Und was machte Lionel Richie? Lächelnd mit dem Publikum scherzend, bot er ein allerfeinstes Konzert, weil er offenkundig eine Crew mit sich führte, die wusste, wie man hier die Klangfarbe austüftelt, um fiepsen, rauschen und Widerhall zu vermeiden. So konnte sich Lionel Lichtgestalt auf das Wesentliche konzentrieren: sich!
Zuschauer und -hörer um den Finger zu wickeln, ist eine Kunst. Sie aber im Konzert über zwei Stunden lang und im echten Leben über Dekaden nicht mehr loszulassen, ist phantastisch, phantastisch mit ph. Ich fühle mich nicht bemüßigt, das abgedudelte „All night long“ nun ins Scheinwerferlicht zu ziehen, obwohl es kein schwacher Song ist. Manchmal überladen zuckrig, hielt Lionel Richie immer volle Öre auf Herzschmerz und Leidenschaft, sodass „All night long“ oder „Dancing on the ceiling“ fast exotische Ausreißer in seinem Portfolio sind. Ich entscheide mich für „You are“, weil „You are“ alles ist: Liebe, Treue, Rotz und Wasser.

„Baby you’ll find
There’s only one love
Yours and mine
I’ve got so much love
And needing you so
My love for you
I’ll never let go
I’ve got so much love.“

Wer flösse nicht dahin bei diesem Treueschwur? So viel Liebe, und nur für Dich, Baby. Lionel Richie, schon zu Commodores-Zeiten das Zünglein an der Waage einer Band, die auf viel Gefühl setzte, tackert mit „You are“ einen Song ins Firmament, der die Grenzen zwischen Soul und Pop, zwischen Ballade und Dance, zwischen Fühlen und Gefühltwerden deutlich fallen lässt, sinnlichst verpackt in ein Korsett, das nicht kneift. Da ist kein Vakuum, sondern Raum, in dem sich jeder Zuhörer dieses Lied auf eigene Art und Weise erhören kann. Diese Kostbarkeit aus dem Album „Can’t slow down“, das aus Juwelen besteht, ist stets in der Balance; Lionel Richies Gesang, mit leicht heiserem Einschlag auf- und niederströmend, ist die tragende Säule, während alles Instrumentale nur dazu dient, ihm eine Bühne zu sein. Bei „And needing you so“ wird das besonders deutlich: eine Zeile nur, vier Worte – aber gesanglich ein Universum.
„You are“ schrieben Lionel und seine damalige Frau Brenda. Die Ehe hielt bis zur Scheidung. Schöner Mist. Es gibt sie trotzdem, die ewige Liebe, ich weiß es.

You are the sun
You are the rain (…)
I love you so
And I’d do it all
again and again.