Achtung, Kultur für Fortgeschrittene: Wenn Manfred Mann’s Earthband „Blinded by the light“ raushaut, dann ist im skurrilen Textgeflecht, das mir wie aus Irr- und Wahnsinn geboren vorkommt, unter anderem von Kalliope die Rede. Mein Kumpel Ricki, Mann des Feuilletons, wird mir erklären, dass jenes Mädel als eine der neun Töchter des Zeus und der Mnemosyne, deren Name ich nicht mal crashfrei aussprechen kann, geboren worden ist. Als Muse der epischen Dichtung, der Wissenschaft, der Philosophie und des Saitenspiels sowie als Muse des Epos und der Elegie (Leute, macht Euch keine Gedanken um mich, ich hab‘s gegoogelt…) hat Kalliope echt was auf’m Kasten. Und mit Apollo auch noch die Söhne Orpheus und Linos in die Welt gesetzt. Ganz schön göttlich.

Ich weiß nicht viel über die Mythologie; in dieser Hinsicht würde ich mich als komplett ungebildet bezeichnen. Dass aber Kalliope als Muse des Saitenspiels gerade der Earthband zu einem Welthit verholfen hat, ist nahezu absurd! Von Gitarre kaum ’ne Spur; klar klampft da irgendjemand mit, Mick Rogers, Robert Hart, wer auch immer, und er bekommt auch sein Solo, aber das ist nur Wellenspiel in einem tosenden Soundmeer. Was hier leuchtet wie ein neu geborener Stern, der uns mit grellem Licht die Augen blendet, das sind die Keyboards des Bandleaders. Manfred Mann, gebürtiger Südafrikaner, lässt seine Finger über die Klaviatur zappeln, dass es eine Freude ist. Jeder Ton ein Treffer. Dieser Sound ist maßgeblich für „Blinded by the light“ – und macht die Earthband-Version zu etwas komplett Neuem im Vergleich zum Original, das Bruce Springsteen in den Siebzigerjahren hingeschrammelt hat. Beim Texten daddelte er nach Zufallsgenerator herum.

Denn in der Tat hat The Boss, so ist bei eingehender Recherche zu erfahren, unter anderem ein Reimlexikon verwendet, um diesem Lied in einigen Zeilen überhaupt erst einmal so etwas wie eine Dichtung einzuverleiben; seltsam bei all den Ungereimtheiten, die wir darin finden. Es sind miteinander nicht zusammenhängende Ereignisse; Kalliope konnte sich nicht wehren. „Blinded by the light“ ist deshalb ein maßgebliches Beispiel für künstlerische Ungezwungenheit. Wenn also Go-Kart-Mozart (?) eine Silikonschwester mit ihrem Mister trifft und ein weiterer Läufer in der Nacht so aufgedreht ist wie ein Ford Deuce, dann sollten wir Hörenden nicht versuchen, daraus etwas Kluges zu konstruieren. Das wird nix. Aber mitsingen, das geht! Etwa das hier:

The calliope crashed
to the ground
And she was blinded by the light
Revved up like a deuce
Another runner in the night
blinded by the light
Revved up like a deuce
Another runner in the night.

Und noch einmal und noch einmal. Ich tat es ebenso, es war in den Neunzigerjahren, als sich Mannis Erdencombo schon ohne Chris Thompson und mit Noel McCalla als Sänger gar nicht erfolglos auf den Bühnen herumtrieb. Auch zu Gast in der Hamelner Sumpfblume. „Blinded by the light“ als eindeutiger Höhepunkt eines kompakten Gigs mit schweißnassem Finale. Keyboardsound wie an die Wand genagelt, kraftvoll serviert, als Countdown-Intro und Zwischenspiel in gleicher Weise die Menge antreibend. „Blinded by the light“ ist atmosphärisch stark und schwillt live gespielt nicht selten auf eine Neun-Minuten-Version an. Auch in der Sumpfe. Ein bisschen Geplänkel ist stets dabei, steigert aber die Spannung. Und wer bis heute fast 2000 Konzerte gegeben hat, wird um diesen, seinen Schatz im eigenen Songbook sicher wissen.