Wie blauer Rauch durchwirkt Janis Joplins Stimme „Maybe“. Hemmungslos und ungezügelt, beinahe flegelhaft stürzt sie sich hinein in den Rausch der mitreißenden Klanglandschaften, die ihr das Leben bedeuteten und ihr es gleichzeitig nahmen. Als Songschreiberin blieb ihr Schwert stumpf; die ungezähmte Präsenz am Mikrofon war dafür umso fühlbarer. Irgendwo auf der Überholspur zwischen Blues, Folk, Funk und Big Band kam sie schließlich unter die Räder. Zu schnell gelebt, zu viel gewagt, und als Ikone der Hippie-Bewegung beim Woodstock-Festival künstlerisch schon nicht mehr auf der Höhe. Mitglied im Klub 27 zu sein, jener Musiker, die allesamt im Alter von 27 Jahren ins Gras bissen, ist eine zweifelhafte Ehre. Noch zweifelhafter ihr Versuch, mit einer Reise zum Karneval in Rio 1970 von der Alkohol-, Heroin- und Aufputschmittelsucht loszukommen. Mit Keith Richards und Eric Clapton eine WG zu gründen, wäre aussichtsreicher gewesen. Janis Joplin starb am 4. Oktober desselben Jahres an einer Überdosis Heroin.

Permanente Gewitterstimmung

Aber Joplins Kehlenfeuer, es züngelt ungestüm noch heute, sobald eine Scheibe der Texanerin auf dem Plattenteller liegt, die Nadel in der Rille Runden dreht und das Knistern leicht zerkratzten Vinyls an Scheitholz im Kaminofen erinnert. Einzig, nicht artig, selbst Gershwins „Summertime“ zieht die Joplin wie einen fetten Joint durch alle Poren, die sie hat. Die permanente Gewitterstimmung ist Teil ihrer Performance. Weil „Maybe“ mit nahezu epischem Talar ausgekleidet ihren Stil und ihre Zerrissenheit am deutlichsten ausdrückt, wirken diese vier Minuten wie eine Kernschmelze. Geschrieben wurde der Song von Richard Barrett, einem US-amerikanischen Rhythm-and-Blues-Produzenten und Dirigenten. „Maybe“ heißt vielleicht. Das ganze Leben Janis Joplins stand im Zeichen des Adverbs. Eine bessere Sängerin hätte er nicht finden können.
Hier züngelt die kalte, blaue Flamme der Entzweiung. Ein zerbrochener Krug voller Liebe als zerstörerisches Element, das Janis Joplin zum Anlass nimmt, wagemutig die Oktaven zu klettern, rauf, runter, rauf. Dabei beginnt alles hübsch entspannt, die Gitarre, die Bläsersätze. Doch da ist dieses Vielleicht, das „Maybe“ als Damoklesschwert über einer einsam wirkenden Seele. Denn vielleicht bedeutet ja: vielleicht auch nicht.

Sie surft bittersüß auf den Gischten des Saxophons

Janis Joplin surft bittersüß auf den Gischten von Saxophonen und Trompeten. Hier beherrscht ein Flehen den Cantus; die Leiden der jungen J, die sich keine Chance gab, alt zu werden. Flehend wirft sie sich in die Brandung, wird hinausgezogen aufs weite, dunkle Meer, die Hafenlichter werden kleiner. Was sie singt, wie sie es singt: Es entwickelt sich zum demütigsten Betteln, wird Gebet.

Maybe
Oh, if I could pray,
and I try, dear
You might come back home, home to me
Maybe
Whoa, if I could ever hold your little hand
Ooh, you might understand
Maybe, maybe, maybe,
maybe, yeah

Das Song-Ich fühlt sich unverstanden. Ob Janis Joplin ganz real auch so fühlte? Wir können nur vermuten, dürfen nicht verurteilen. Was wir wissen: dass nicht unbedingt ihr Wort Gewicht hatte, aber ihre Stimme. „Maybe“ ist dafür der eindringlichste Beweis, den ich in ihrem Songbook gefunden habe. Aber die Hi(t)Story hat ja auch exemplarischen Charakter. Alt-Hippies mögen folglich ganz andere Kaliber Joplins aus dem Hut zaubern. Jedenfalls maybe.