Ich sah ein riesiges Schwein über das Olympiastadion fliegen; es schwebte unter dem Münchener Sternenhimmel geheimnisvoll wie ein Ufo. Ich warf meine verstörten Teenager-Blicke auf ein durch die Nacht sausendes Bett, und ich hätte schwören können, dass zwei E-Gitarren darin eng umschlungen von einem Höhepunkt zum nächsten kamen. Meine Ohren, sie schmerzten wundervoll, und der Bass Guy Pratts – Roger Waters hatte die Band Pink Floyd schon lange vorher verlassen – wummerte so sehr in meinem Plexus solaris, dass ich mir wünschte, für die Dauer des Konzerts ein Dixi-Klo ganz für mich allein zu haben. Nun, es kam gottlob nicht zum Äußersten.

Ich hatte einen Kloß im Hals, aber diese Kröte musste ich schlucken, sommersprossige 17 Jahre jung, von meinen beiden älteren Brüdern nicht darauf vorbereitet, was mich an diesem Juliabend erwarten würde. Show, Effekte, lauter Rock. Pink Floyd, das war kein normales Konzert, es war eine gewaltige Sound-Orgie, monströs in Perfektion dargeboten. „Shine on you crazy diamond“ flammte sich titanisch in mein zartes Herz; dieses Brandzeichen bewahre ich als Tattoo meiner Jugend, und es sticht von Zeit zu Zeit. Weil es um Verlust geht, um ewiges Leuchten und all das dazwischen.

Remember

when you were young,

you shone like the sun.

Shine on you crazy diamond.

Mystisch beginnt das Prachtwerk; delphisch flambiert von Richard Wrights Keyboards, die das phänomenale Gitarrenspiel Syd Barretts so passend in sich aufnehmen, als wenn hier die Ursuppe neu angemischt werden müsste. Es ist nicht so, dass einzelne Komponenten schleppend überladen werden: Die aberwitzige Ausdruckskraft des Songs erschafft Pink Floyd durch das Weglassen und bewahrt die Stärke durch Zurückhaltung; instrumental geht’s punktuell spartanisch voran – aber akribisch aufeinander abgestimmt. Eine ozeanriesige Tiefe entsteht!

Part One ist auf der 1975 erschienenen Langspielplatte „Wish You Were Here“ über 13 Minuten lang und dürfte kürzer nicht sein – es gibt wenige Longsong-Beispiele, die einen ebenso starken Spannungsbogen vorweisen. Diesen Tonus hat die britische Band von den Sechzigern bis in die Neunziger trotz einiger Besetzungswechsel aufrecht erhalten können. Allemal erstaunlich, dass ich dennoch kein überzeugter Floyd-Fan geworden bin. Vielleicht sind sie mir in vielen ihrer Facetten zu störrisch geblieben, zu düster und lichtscheu im Land der tausend Fragen umhergehuscht. Zu viel des Undurchschaubaren, zu viel des Schwermütigen mag meine Seele nicht. Aber doch „Shine on you crazy diamond“, das mag sie. Denn dieser Lichtstrahl ist Metapher für das Leben, auch für gewesenes.

„Shine on you crazy diamond.“

„Glänze (auf), Du verrückter Diamant.“

Ja, leuchte, strahle hinaus, wer immer Du bist! Manchmal denke ich bei dieser anmutigen Zeile an meinen Vater oder an einen Freund, bisweilen an die Lebenden oder an solche in anderen Sphären. Jetzt gerade denke ich an ein kleines Vögelchen, das dieses schwere Lied mir schwerelos erscheinen lässt, und das ist überhaupt nicht lächerlich! Es kam mir nahe im Garten, landete fast auf meiner Schulter, so irre zutraulich. Es war ein treuer Freund, wir hörten einander zu. Eines Morgens kehrte es nicht zurück. Geblieben ist ein Federbüschel als stummer Zeuge einer hässlichen Begegnung mit einer schrecklichen Katze; ich weine still und singe schweigend weit hinaus: „Shine on you crazy Rotkehlchen.“