Am Morgen danach, am Morgen nach dem Tode Charlie Watts‘, als der Welt ein sehr feiner Rhythmus abhandengekommen war, schickte mir Uli, ein guter Freund, eine Whatsapp als Wattsapp. „Ich dachte immer, die Rolling Stones sind unsterblich“, stand darin. Ich habe nicht lange über seine Worte nachgedacht, sondern sofort eine Antwort gesendet: „Für mich sind sie es auch. Nächste Hitstory im HALLO: Stones.“ Basta und Brüllbalken! An diesem Punkt bin ich nun angelangt und werfe „Don’t stop“ in die Runde.

Ein Song wie Nitroglycerin, den die Toxic Twins Jagger und Richards als neuen Flammenwerfer für ihr 2002 veröffentlichtes Best-of-Album „Forty Licks“ zündeten. Knorrig stürzen Keith und Ron ihre Riffs hinein, und Charlie Watts bietet ihnen den Raum dazu: Keine brüllaffige Drummerdramaturgie senst die Textur ins Leblose, sondern es ist das geistreiche, jazzgeborene Spiel mit den Sticks für die Licks der Stones, nicht brutal gehämmert, sondern harmonisch in den Song gewebt. Es gibt der Band Rückhalt von der ersten Minute an; Mick Jagger, Sir of Rock ’n‘ Roll, steigt mit ein, wie immer zügellos und unflätig Worte hinausschleudernd. Jede Silbe wie scharfkantige Splitter eines zerbrochenen Spiegels wilder Seele.

Well you bit my lip
and drew first blood
And warmed my
cold, cold heart
And your wrote your name right on my back
Boy your nails were sharp.

Wie er singt, ist phänomenal, von oben herab in seiner ihm eigenen „Stiff upper lip“-Attitüde, die wir Stones-Fans so lieben. „Blood … heart … back … sharp“ – die Worte stürzen aus ihm heraus, unersättlich im „Ihr könnt mich mal“-Modus nach Beachtung trachtend, und während die Kettenraucher neben ihm die Saiten dreschen, trommelt Charlie sachlich im Hintergrund, weitestgehend auf Hi-Hat verzichtend.

So klingt dieses Lied kompakt, warm und dennoch fordernd. Ein Turm in einer Rock’n’Roll-Schlacht, und ja, man möchte ihm zurufen: „Don’t stop, Charlie!“ Sein Beat goes on, auch wenn er uns verlassen hat. Und ich werde jene drollige Geschichte nicht vergessen, die sich in irgendeinem Hotel in irgendeiner vermaledeiten Stadt nach irgendeinem Konzert zugetragen hatte. Jagger, ganz „boss of the band“, feierte ausgiebig mit Entourage; Charlie Watts war schon auf dem Hotelzimmer, wie so oft früh zu Bett. Jagger rief ihn an: „Wo ist mein verdammter Schlagzeuger?“, soll er im Brustton der Überzeugung gefragt haben. Charlie marschierte zu den Feiernden, schnappte Mick am Schlafittchen, drückte dessen Gesicht in Käse und Wurst und weiß der Teufel, was das Buffet noch so hergab, und zischte: „Ich bin nicht dein verdammter Trommler. Du bist mein verdammter Sänger.“

Es sind vermutlich genau diese lavaheißen Blubberströmungen, die das Leben innerhalb der Rolling Stones befeuert haben. An Spannung hat es ihnen nie gemangelt und Aufhören kam nicht infrage. Sie gaben sich niemals die Blöße, eine Abschiedstournee anzukündigen, um dann fast reumütig doch wieder auf die Bühne zurückzukehren. Dann lieber gar nicht erst abtreten! Auch nach dem Tode Charlie Watts werden sie unterwegs sein, die rollenden Steine, so ist es jedenfalls geplant. Der Titel „Don’t stop“, obgleich anders gemeint, erscheint mir deshalb gerade jetzt wie eine Trotzhymne. Es stünde den Stones gut, für ihren Charlie zu spielen, für ihn, der als Gentleman taktvoll den Takt einer Gruppe vorgab und einmal sagte: „Schlagzeugspielen war immer das Einzige, was mich interessiert hat. Den Rest fand ich furchtbar.“