Zu glauben, „Samba Pa Ti“ , wo sich frisch Vertäute lutschend an den Lippen hingen (es war einmal auf ach so vielen Partys …), sei das Maß aller Dinge, um dem Sonnengott der Saitenkunst zu huldigen, ist ein fataler Irrflug. König Carlos, der Leidenschaftliche, dessen Finger mit schmetterlingsschwebender Leichtigkeit über Nylon und Stahl bügeln, als wenn er ihnen freien Auslauf gewähren würde, kann genauso unmöglich auf eine einzig schwitzende Ballade reduziert werden wie die Rolling Stones auf ihr unvermeidbares „Angie“. Santana ist ein Gesamtkunstwerk, und als 1999 dieser beseelte Musiker mit seinem Rekordalbum „Supernatural“ aus den Tiefen zwischenzeitlicher Belanglosigkeit überraschend auftauchte, war’s sogar um solche Menschen geschehen, die nie „Samba Pa Ti“ gehört hatten. Ganz zu schweigen von „No one to depend on“.

Ein Filetstück aus dem
Album „Santana III“

Doch just dieses Stück Filet vermag als Topping des melodiösen Sterne-Menüs hervorragend herzuhalten. Weil der Meister alles darin vereint, was seinen Stil charakterisiert: Popmusik in karibische Sounds zu weben, um Latin-Rock zu kreieren und Wege zu gehen, die kein anderer Musiker so erfolgreich beschritten hat. Carlos Augusto Santana Alves, geboren in Autlán de Navarro in Mexiko, setzt seine Gitarre als Stimme ein, als vibrierendes Element im Zentrum einer außergewöhnlich instrumentierten Wall of Sound. Manchmal driftet die Geschichte in eine klebrige Masse ab, die in relativer Schlagerhaftigkeit eines „Corazon Espinado“ niedertröpfelt, aber das macht die Kristalle seines Gesamtkatalogs nicht weniger funkelnd. Wenn also „No one to depend on“ fast unmerklich heranschlurft, und das tut es seit 1971, als das Kaleidoskopische des Königs Pracht noch um ein Vielfaches angereicherter war als jedes „Maria Maria“ der Spätneunziger, dann sehen wir Hörenden die Klangfarben als Regenbogen vor unserem inneren Auge, ohne dafür einer weißen Linie mit dem Strohhalm an der Nase folgen zu müssen. Es ist die Droge des Melodischen, die uns hier zum Licht führt. Kubanische Timbales und die peitschenden „Tack-tacks“ der Congas flirren wie Hitze in den Straßen Havannas; die Textzeile „Ain’t got nobody that I can depend on“ wiederholt sich in nahezu traumatischer Abfolge, fällt schließlich in eine erste Schlucht hinab, und die Musik bricht sich Bahn.
Die Instrumente gleiten wild und unersättlich von einem Trip in den nächsten, der sich Leben nennt. Carlos Santana zündet ein solistisches Feuerwerk, Bassist David Brown zementiert das energetische Getöse, das wie aus anderen, höheren Sphären wie silbern leuchtender Regen auf uns niederprasselt, Regen, der aus goldenen Wolken eines Himmels fällt, der die Farbe Lila als seine Heimat auserkoren hat. Papa Carlos schmirgelt hitzeaufgeladene Saitenhiebe ins lustvoll aufsteigende Gewimmel und die Congas fangen Feuer. Seine Gitarre wird zum schwelenden Zentrum; sie ist magnetischer Dimension, zieht Töne, Melodien und Harmonien auf sich und wird zum bindenden Element eines sehr heiß bebenden Stückes. Allein der Refrain, er bleibt strophenlos einsam:

„Ain’t got nobody
that I can depend on.
Ain’t got no one,
no tengo a nadie.“

Englisch-spanische Minimallyrics und ein Ausruf des Klagenden. Sie bedeuten „Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann“, was nicht ohne Ausnahme zu bestätigen wäre. Auf Carlos Santana ist Verlass. Fulminanter als bei „No one to depend on“, dem fünfeinhalbminütigen Kometen des Albums „Santana III“, kann Musik nicht aufsteigen und uns mit Glück umhüllen.