Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Deshalb habe ich, an und für sich von den Klängen der Stones, Led Zeppelin und Hall & Oates erfüllt, die Erweiterung meiner Schlager-Trilogie, die heute enden sollte, auf ein Quartett beschlossen. Während dieser Entscheidungsfindung dachte ich an zwei Brillen. Zunächst einmal an meine Brille, meine erste. Ich war sechs Jahre alt und sah aus, als liefe ich Model für den Fleischerfachverband, weil es so schien, als ob die Gläser von Leberwurst umrandet wurden. Trotzdem war ich nicht gerade zum Anbeißen. Ob sich Nana Mouskouri auch so scheußlich fühlte, glaube ich nicht. Sie, La Grande Dame des Jazz, Chansons und Schlagers, hatte den Riesenömmel in ihrem hübschen Gesicht längst zum Markenzeichen gemacht. Durch fensterscheibengroße Korrektionshilfen erblickte sie die schönste Sonne der Welt: die am frühen Morgen, wenn sich auf Meister Lampes laschen Löffeln noch ein Lurch herumlümmelt, weil er kein besseres Bett hätte finden können.

Guten Morgen, guten Morgen
Guten Morgen, Sonnenschein.
Diese Nacht blieb dir verborgen.
Doch du darfst
nicht traurig sein.
Guten Morgen, Sonnenschein.
Nein du darfst
nicht traurig sein.
Guten Morgen, Sonnenschein.
Weck mich auf
und komm herein.

Vor dem Hintergrund dieser brachial banalen Philosophie für Frühaufsteher vermag schnell in Vergessenheit zu geraten, dass – gemessen an der Fülle verkaufter Platten – Nana Mouskouri hinter Madonna in der Weltrangliste auf Platz zwei rangiert! Nee, das hat jetzt sogar ein Dreifach-Ausrufungszeichen verdient!!! Über 300 Millionen Tonträger hat die als Ioanna Mouschouri in Griechenland geborene Musikerin und Komponistin umgesetzt, wurde dafür mit über 300 Goldenen, Platin- und Diamantenen Schallplatten ausgezeichnet. Im Vergleich zu Madonna kann die große Nana aber auch noch singen; ihr gelingt deshalb, selbst ein Liedchen zu einem erwachsenen Song werden zu lassen. „Guten Morgen Sonnenschein“ passt genau in diese Kategorie.

Denn was haben wir? Wir haben eine Gitarre, ein bisschen pling-pling zu Beginn, und im Hintergrund setzt ein Chor zur Begleitung seiner formidablen Sängerin ein; drei Frauen und zwei Männer, die versteinert in der Weltgeschichte herumstehen und den Text mit beseelten Blicken sehr ernsthaft, aber beschwingt, von den Papieren der Notenständer vor ihnen ablesen, während der Schlagzeuger eine Art Duracell-Hase ist, der vorher scheinbar in ein Fass Passionsblumentee gefallen war. Aber das alles ist egal, denn das Arrangement stimmt, das ganze Gedeck an Tönen und Harmonien hat die wärmende Wirkung von Milchreis mit Zimt und Zucker. Nana Mouskouris Stimme legt sich über das tänzelnde Gemisch wie Glockenklang über die Stadt bei Sonnenaufgang; kein Ton geht verloren und sie weiß sehr genau, wie sie jede Silbe zu setzen hat. Dass sie dies nicht ganz akzentfrei schafft, macht die Sache international. Und apropos: Wer Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Frank Sinatra als seine Vorbilder nennt, sich daran orientiert und für den Jazz das Studium in klassischem Gesang, Klavier und Harmonielehre abbricht, bei dem muss ja irgendwann das Telefon bimmeln: „Hallo, ist da Nana Mouskouri? Ich bin’s: Quincy Jones.“ Quincy, der in der Popwelt gewisser Überallige!

So in etwa wird es sich zugetragen haben, schon 1962, als die weißen Rosen aus Athen noch nicht mal Knospen hatten und auch der Sonnenschein – übrigens eine Komposition von Liedermacher Rolf Zuckowski – wurde erst viel später so freundlich begrüßt. Leute, ich meine das ernst: Es ist ein wirklich schönes Lied.