Das Cyclus 66 in Bischofsmühle an der Innerste war ein verrauchter Schuppen, ich muss es wissen, ich war nie drin. Wenn mein Kumpel Henner Kerl davon erzählt, wer sich die Klinke des Hildesheimer Jazz- & Kulturclubs in den Siebzigern in die Hand gab, höre ich gierig zu. Es waren solche Typen, die später in den Stürmen des Erfolgs Mastbruch erlitten, aber auch Künstler, die achtsam mit Ruhm umzugehen wussten. Wozu die Scorpions gehören, dürfte heute klar sein.

Wenn ich die Hi(t)Story nun also dazu nutze, der größten Hannoverschen Rocksensation zu huldigen, dann nicht mit aufdringlichem Betragen, sondern aus Freude darüber, dass die Scorpions als Weltenbürger dennoch ein Edelmetal regionaler Kultur auch für uns im Hannover nahen Weserbergland bedeuten! Henner, dereinst unter anderem Pressewart und Vorsitzender des Cyclus-Vereins, lernte sie kennen, als sie recht unbekannt waren. Als ausgezeichneter Journalist wurde er gebeten, ein bisschen Pressearbeit für sie zu erledigen. Die ersten offiziellen Bandfotos „könnten von mir sein“, sagt er heute. Er muss seine Arbeit gut gemacht haben, denn über dreißig Jahre später passierte Folgendes: Henner flaniert mit seiner lieben Jutta durch die Altstadt Hannovers, als ihn ein Typ anspricht. „Ey, Henner, bist Du das? Mensch, Alter, haben wir uns lange nicht gesehen, wie geht‘s?“ Es war Rudolf Schenker, kreativer Kopf und Bandleader, der bei über 110 Millionen verkauften Tonträgern mit seinen Jungs in die Königsklasse raufgerockt war. Henner hat er trotzdem nicht vergessen. Imponierend!

Musikalisch sind sie gereift, wie so viele aus der wilden Generation derer, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren ihre künstlerischen Wurzeln entwickelten. Dass ich also – ungeachtet starker Songs wie „Still loving you“, „Rock you like a hurricane“ oder „Wind of change“ – das Album „Sting in the Tail“ aus 2010 nutze, um die Scorpions abzufeiern, sollen mir die eingefleischten Fans bitte verzeihen. Doch könnte ein Opening fulminanter sein als mit „Raised on Rock“? Ein Song bis zum Anschlag:

„I was born in a hurricane.
Nothing to lose
and everything to gain.“

Im Wirbelsturm geboren, nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. – Schon die ersten Zeilen sind wie Benzin für die sechssaitigen Furien, die Rudolf Schenker und Matthias Jabs wie Motorsägen über die Bühne wirbeln. Einer links, einer rechts, nehmen sie Klaus Meine in die Mitte, der sich tragen lässt vom robusten Sound, aber auch selbst stabile Säule im resilienten Klanggeflecht des 17. Studioalbums der Leine-Rocker ist. Eine lupenreine Produktion, in der die Spielfreude der Gruppe sich teppichartig ausbreitet. „Raised on Rock“ bläst zum Sturm auf die Paukenhöhle, verdampft nicht als Opener, sondern schmurgelt in der Eustachischen Röhre fort, während die anderen elf Songs schon durchgebrannt sind. Scharf wie die Klinge des Barbiers sensen die Gitarreros Riff um Riff kühn zwischen Strophen und Refrain – beißendes Zwischenspiel, kaum als Solo vermerkbar, inklusive. Eben geschehen, grillt Sänger Meine wieder jede Silbe, jedes Wort.

My dad was howling but my
heart was a rolling stone
Yeah I was raised on rock
My mama said I had a devil
to scratch my soul.

Vater. Mutter. Beide konnten sie ihre Söhne nicht überzeugen, statt teuflischem Ritt einen „anständigen“ Weg einzuschlagen. Wobei ich der Meinung bin, dass die annähernd skandalfreien Scorpions einen anständigeren Weg gar nicht hätten gehen können. Weshalb ich auch nächste Woche von ihnen erzähle. Ein‘n habe ich noch …