Rückblende: Da sitze ich nun – es ist das Jahr 2000 – im Entrée des legendären Funkhauses Nalepastraße in Berlin zwischen ausgebufften Zeitungsredakteuren, überdrehten TV-Hyänen und journalistischer Resterampe; ich habe auf der Fensterbank Platz genommen und bin bemüht, der Situation Würde zu verleihen, was vielen anderen, die zum Interview geladen sind, leider nicht gelingt. Aus gutem Hause zu sein, zahlt sich eben doch aus. Jedenfalls: Es folgt einer dieser „Moments of Glory“ (Expo-Hymne), für den die Scorpions und die Berliner Philharmoniker aus Anlass der bevorstehenden Weltausstellung in Hannover zusammengekommen sind, ganz persönlich auch für mich. Und zwar so: Die Aufgedrehten, die Vordrängler, Ellbogenchecker und Möchtegerncoolen, Meister Prahlhans und der Held vom Erdbeerfeld hetzen wie gestochen in den Konzertsaal hinein, wo das Orchester Platz genommen hat, kaum dass sich die Pforte wie von Zauberhand öffnet. Ich lasse es ruhig angehen. Zweieinhalb Augenblicke später bin ich der Einzige, der noch im Vorraum sitzt.

Gut, dass ich wartete, gut, dass ich nicht drängelte

Rechts von mir öffnet sich eine Zimmertür. Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs treten hervor. Die kreativen Köpfe der Scorpions umrahmen mich. „Hallo, wer bist Du denn? Und wo sind all die anderen? Wir sollen hier doch Interviews geben“, sagt Klaus Meine. „Fangt doch mit mir an. Die anderen sind alle schon drin“, entgegne ich. „Gut, machen wir. Wo kommst Du denn überhaupt her? … Was, aus Hameln? Das ist ja quasi gleich neben Hannover! Für wen schreibst Du denn?“ Anstatt eines Interviews entwickelt sich ein Gespräch, in dem die Musiker mehr Fragen stellen als ich. Erstaunlich locker.

Heute rufe ich diese Begegnung mit Vergnügen auf meinen Synapsen ab. Wir quatschten lange, länger als den Managern lieb war, die nach einer Weile aus dem Saal herausstoben und um Eile baten. Es ist eine wundervolle Erinnerung für mich. Gut, dass ich wartete, gut, dass ich nicht drängelte. In dieser zufrieden Rückschau wähle ich dennoch nicht die Expo-Hymne, die mir gar nicht so gefiel, sondern den 2010er Song „The best is yet to come“, der genauso hymnisch, sogar hypnotisch ist.

Thinking of the times
How we laughed and cried
I wouldn’t change a thing
I couldn’t even if I tried
Through the wind and rain
The spirit of our song
remains the same
And the best is yet to come

Durch den Wind und den Regen. Der Geist unseres Liedes bleibt derselbe. Und das Beste steht uns noch bevor. – Das durchweg optimistische Gemüt, dieses grundsolide Positive, der unverbaute Glaube an das Gute und die Bereitschaft, es genauso nach außen zu transportieren, ist eine Eigenschaft, die die Scorpions auszeichnet und dass sie auch damals alle spüren lassen haben. Man muss kein Fan sein, um zu erkennen, dass diese Band einem Stil folgt, der sie einzigartig macht. In „The best is yet to come“ vereint sich alles, was sie können: laut und leise, hell und dunkel, magisch entrückt und hymnisch entzückend. Schenkers brütend-heiße Saitenarbeit zwischen smart und hart und die ebenso glühenden Riffs von Jabs sind eine beständig flackernde Affäre für Meines kratzerfreien Gesang.

Noch dies: „Ich will Euch jetzt nicht weiter aufhalten. Habe alle Infos. Habt vielen Dank“, sagte ich nach dem Gespräch. Ihre Reaktion: „Ja, klar Mann, hat Spaß gemacht! Dann lass uns reingehen, die anderen warten.“ Und so ging ich zusammen mit Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs in den Saal, wo uns Dutzende Augenpaare verfolgten. Ich glaube, ich fühlte mich ein bisschen zu cool …