„Vergiss nicht, ich bin auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben.“

Als die weltberühmte Schauspielerin Anna Scott tränenüberströmt zwischen angestaubter Reiselektüre und Antiquarischem ihre Worte winselt, scheint der Drops gelutscht. William Thacker, erfolgloser Buchladenbesitzer im Londoner Stadtteil Notting Hill, lehnt ihr spätes Werben ab. Durch zu viele Täler der Erkenntnis war er Monate zuvor geschritten, hatte gehofft, wurde enttäuscht, gedemütigt. Endlich, da er einen Haken an die Sache macht, steht Anna, die Göttingleiche, vor ihm, und die alten Wunden seines vernarbten Herzens brechen auf. Doch Anna muss gehen, die Tür fällt ins Schloss. Zurück bleibt eine Pfütze Tränen.

Eine unfassbar
ergreifende Szene

Es ist eine unfassbar ergreifende Szene. Julia Roberts und Hugh Grant in Hochform. Überhaupt: „Notting Hill“ als ikonisches Komödienkino. Mutmaßlich hat kein anderes Filmlustspiel mehr salzige Spuren auf unseren Wangen hinterlassen. Schluchz und Wimmer in Highend-Stufe. Wie ein Soundtrack uns durchs Leben trägt, so trägt er die Mitweinenden durch diesen hinreißenden Streifen. Nachdem wir also – jetzt rede sich da mal keiner raus! – nach Ronan Keatings lavendelhonigreizendem „When you say nothing at all“, Al Greens schmachtendem „How can you mend a broken heart“ und dem fanfarischen Ohrensmoothie „She“ von Elvis Costello eigentlich schon komplett ausgelaufen sein müssten, folgt noch diese bittersüße Szene.

Im Filmfinale nun kommt die Spencer Davis Group ins Spiel. Schwere Orgelwellen durchpeitschen drallen Bassgroove; die Brüder Steve und Muff Winwood treiben sich voran. Pete York am Schlagzeug lässt nichts anbrennen; sein Spiel mit den Sticks ist grundehrlich und füllt jede Nische, die zwischen Instrumentierung und Gesang offenzubleiben droht. Spencer Davis, Gitarrist und Namensgeber der Band, bleibt unauffällig im Hintergrund. Dennoch ist er der Drahtzieher: Er hatte diese starke Formation zusammengestellt. „Gimme some lovin‘“ huscht forschfröhlich voran; ein 1966er Blues-Rock-Felsen, vital rollend wie am ersten Tage seiner Veröffentlichung. Steve Winwood, aus dem später ein Superstar werden sollte, war damals 18 Jahre alt und singt so göttlich, als wenn er dem Teufel die Hörner flambieren wollte. Dieser Soul in seiner Stimme, ein warmes Süppchen aus Zutaten wie Leidenschaft, Freude, Vergnügen und Bestreben, schon damals, in so jungen Jahren, wie ein eigenständiges Instrument.

Mit diesem Song im Tank rasen William und seine Freunde in einem alten Kombi quer durch London auf Einbahnstraßen in falscher Richtung, um Anna, die Auserwählte, ausfindig zu machen, bevor sie in den Flieger steigt. Natürlich schaffen sie das, war klar, und wieder und wieder „Gimme some lovin‘“ im Chor als kongeniale Ergänzung zu den anrührenden Bildern. Dass dieses Lied Jahrzehnte später auf eine „Best Of“ von Winwood gedengelt wurde, ist nicht verwunderlich, denn neben dem ersten „Spencer Davis“-Hit „Keep on running“ dürfte „Gimme some lovin‘“ am meisten Einfluss auf seine große Karriere gehabt haben.

And I’m so glad we made it,
so glad we made it
I want you to gimme some
lovin‘, gimme some lovin‘
Gimme some lovin‘ everyday.

Und ich? Heule jedes Mal wieder, sogar bei diesem Uptempo-Renner, weil er so erschütternd gefühlsecht flirrt. Vergesst nicht, ich bin auch nur ein Junge, der vor seinen Lesern steht und sie bittet, ihn zu lieben. Oder wenigstens zu lesen.