Für alles, was ich nie an lieben Worten noch zu sagen in der Lage war. Für jede Träne, die ich unterdrückte und die es wert gewesen wäre, dass sie rollt. Für solche Momente, in denen mein Herz gefroren schien und Feuer hätte spenden müssen, ist dieses Lied die Mahnung an mein Innerstes. „Why should I cry for you“ singt Sting mit doverklippenkreidener Stimme und wird im Laufe des fünfminütigen Seelentrips nicht beantworten können, warum er um seinen Vater weinen sollte, der etwas anderes von ihm erwartete, als ein Rockstar zu werden. Dieser Song lässt mich, lässt uns tauchen in die dunkle See, um auf dem Grund zu schlafen, und alle Farben bluten nach Rot unter den arktischen Feuern und über der Meere Stille.

Nichts, was nicht poetisch wäre in diesen Zeilen; nur die Violinen des Royal Philharmonic Concert Orchestra verleihen dem gewaltigen Moll einen Schimmer Dur. Kaum etwas, das den Seelenwassern mehr Strömung schenken könnte als gezupfte Saiten, Gedanken goethischer Größe und Harmonien, die reinigend in tiefste Zellen reichen. Es ist kein Lied, es ist ein lyrisches Epos, das durch die konzertante Unterfütterung als „Symphonicities“-Version unglaublich groß wird.

Überhaupt: Kaum ein Rockidol, dass die klassische Position besser umsetzen könnte als Sting. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich nicht glauben wollen, dass der sehnige Kerl seine musikalischen Wurzeln in der New-Wave-Band The Police schlug, die die Grenze zum Punk hinüberschritt. Die Gene des „Englishman in New York“, sinfonisch zu sein, gab es früh, lagen aber noch im Dunkel der Zukunft. Drei bis vier Jahrzehnte später weiß ich, wissen wir, dass Sting, der als Gordon Matthew Thomas Sumner in Wallsend, einem Vorort von Newcastle upon Tyne, geboren wurde, ein herausragendes Talent für klassische Harmonien besitzt und Grenzen sprengt zwischen musikalischen Regionen, von denen viele nicht denken würden, dass sie eine gemeinsame Grenze haben. Sting schlüpft geschmeidig in fremde Welten und macht sie zu seinen. Auf seinem Album „Songs from the Labyrinth“, aufgenommen von Edin Karamazov, holt er die barocke Pracht und Güte von John Dowland (1563–1626) ans Licht. In all seiner Zartheit ist das gewaltig.

Und ja, Zartheit ist ein Merkmal seines Songwritings. Text und Textur verbandeln sich bei „Why should I cry for you“ zum musikalischen Hochgenuss. Ein Diamant, der in einem Himmel voller Edelsteine leuchtet. Wahnsinnig emotional, und diesmal keine Träne, die umsonst rollt, und kein Lächeln, das zu viel ist.

Manchmal sehe ich dein Gesicht,
Die Sterne scheinen ihren Platz zu verlieren.
Warum muss ich an Sie denken?
Warum muss ich an
dich denken?
Warum sollte ich das tun?
Warum sollte ich um
dich weinen?
Why should I cry for you?

Vielleicht wird die Frage, warum wir um unsere Väter, Mütter, Ahnen weinen sollten, nur mit einer Gegenfrage zu beantworten sein. Warum nicht?