Seht, da rauscht er heran, der Riesenvogel; die Boeing 747 hat kostbare Fracht an Bord, denn es sitzt James Bond darinnen, der obercoole 007er, der sich noch einen Geschüttelten in den Schlund regnen lässt, bevor er der Welten Donner rührt. Das in den Farben des Union Jacks verzierte Tragwerk schneidet die Lüfte über Tower Bridge, Big Ben und Abbey Road in Scheiben. Jetzt ist keine Zeit, die Löffel abzugeben; immerhin hat der MI6 seinen besten Mann gerufen, was er selbstredend nie ohne Musik tut. Auf diese Weise kommt also „London Calling“ über zwanzig Jahre nach der ersten Chartnotierung im 2002er Kultspion-streifen „Stirb an einem anderen Tag“ zu neuen Ehren.

Die Kühnheit des Agenten klebt an der Coolness des Viervierteltakts dieser Endzeitmelodie, als wäre sie Darsteller Pierce Brosnan extra für seinen letzten Bond-Film auf den Leib komponiert worden. So rüde die Stakkato-artigen Akkordanschläge auch wirken mögen, so durchdacht scheint die kompositorische Arbeit von The Clash für „London Calling“, jener Band, die mit dem gleichnamigen Album Ende der Siebzigerjahre eine Platte so heiß wie Frittenfett veröffentlichte und hier ohne Zweifel auf dem Höhepunkt ihres Schaffens war.

Joe Strummer und Mick Jones zogen die Fäden, und sie taten gut daran, nicht jeden schrägen Ton zu entgraten; Punk braucht Ecken und Kanten. „London Calling“ hat nicht zu viele davon, aber es gibt genug, um sie weit entfernt vom Mainstream zu halten. Dabei schafft der Titel, nicht Punk, noch Rock zu sein, sondern – ganz der Vorstellung des einstigen Quartetts entsprechend – als New Wave begriffen zu werden, also gewissermaßen einer modernen Ausgeburt des Punks, ein Baby des Rüpelhaften, das mehr Anstand hat und Gefahr läuft, in den Mühlen des Bedeutungslosen vermahlen zu werden. Aber: Gefahr gebannt! Die Nummer zündet wie die Triebwerke der 747.

The Clash kriegen das hier wunderbar hin. Leider gab es die Gruppe nicht lange, was Song und Album allerdings eine noch höhere Würde verleiht. Kaum war das Gold von „London Calling“ im Sack, ging‘s mit Streitigkeiten los, die nach nicht einmal zehn Jahren den Anfang vom Ende bedeuteten.

Ich hätte sie nicht vermisst (nicht bis 2002 …), aber da liegt das Teil nun vor mir und ich freufreufreue mich! Vier aschfahle Räubervisagen stieren leicht hohl angesäuert aus dem Booklet, auf Anti gestimmt, die Apokalypse auf der Pupille klebend und als Haarschnitt tragend. Punk-Musiker geben ja ungern zu, mit ihrem Kram Geld verdienen zu wollen. Nach dieser Nummer aber, da bin ich mir sicher, konnten es Strummer, Jones und Konsorten kaum noch zählen. Und das Glück war ihnen, den Zerstrittenen, hold, immer wieder.

„Should I stay or should I go“ war nicht nur ein musikalisches Monument für die widerwillige Willensbildung in Vor-Brexit-Zeiten in den vergangenen Jahren (yes, folks, at some point you have to make a decision, we’re so sorry…), sondern diente einem Jeanshosen-Hersteller 1991 als Werbespotsong. Knapp zehn Jahre nach Veröffentlichung wurde es dadurch millionenfach auf Rille und Silberling verkauft. Streaming gab‘s noch nicht.

Und wieder rund zehn Jahre später eben „London Calling“. Für den Mann mit der Lizenz zum geschüttelten Martini. Heldentaten, musikalisch umzwirbelt von Antihelden mit Mehlteint und Augenringen. Sie singen, krächzen, krakeelen über Krieg, Klimakollaps, Katastrophen. Ein Song wie ein Raumgleiter; der Zeit voraus. Das dumpfe Grollen des Basses von Paul Simonon, die zackigen Schläge an den Drums von Topper Headon, Gitarrenfetzen wie Echos in der Paukenhöhle – hübsch hässlich, irgendwie…