Wehmut ist ein unauslöschliches Zeichen der brennenden Seele; sie ist der Klang von Flöte und Akkordeon, von Mandoline und Gitarre, und ich spüre, dass unter dem Regenbogen meines tiefsten Himmels Funken tanzen, wenn Erinnerung und Gegenwart sich in Melodien verfangen. Es sind solche Lieder, die Netz und doppelter Boden für Mut und Zweifel werden können, die mich fangen und retten, wo ich über Zeit sinniere, die niemand aufzuhalten in der Lage ist.

Doch jeder Morgen bringt das Neue, Frische an den Tag, das die Nacht wie eine Gefangene in Dunkelheit hüllte, und jetzt, da „Brother, don’t you walk away“ aus den Boxen strömen wird, rauscht die Linde im Hologramm meiner Jugend, und sie bricht nicht an den Jahren, sondern steht fester verwurzelt denn je, ungeachtet aller Lenzen.

Im Rock’n’Roll gebunden dreht sich der Sturm und macht aus Wehmut Mut. Das Wort „Brother“ steht mehr als für Bruder, es steht für Bündnisse, von denen manche in den Donnerwettern der Zeit untergegangen sind wie Schiffe im Angesicht des Orkans. Unvergessen sind sie dennoch.

Ich müsste lügen zu behaupten, den deutlichen Folkrock-Einschlag der Hooters nicht zu mögen. Ganz und gar, das tue ich. Liebe das Akkordeon, mag die Mandoline. Weil sie beide wie das Fleur de Sel sind, grob gestreuselt, aber mit der richtigen Wirkung verbunden: Aroma einzubringen in die eher auf Schmalspur getriebene Songtextur. Alles, was die Hooters hervorgebracht haben, war absehbar, nicht komplex – aber nie langweilig. Was nützt mir denn der verkopfte Klangkosmos eines Peter Gabriel, wenn ich darüber hinwegschnirchel? Warum döse ich bei U2 ein? Womöglich hat es damit zu tun, dass nicht jede poetische Flatulenz für Rockmusik von Nutzen ist. Was ich will, ist kein dauerplauderisches Weltverbessermusizieren, sondern flockig verpackter Sound, der nicht zwingend eine Message mit sich herumschleppt. Mir reicht’s, wenn’s um Liebe geht. Bitte, bitte kein Gesülze!

1993 stand ich im Osnabrücker Musikclub Hyde Park am Fürstenauer Weg, nur noch Scherben eines Jurastudiums in den Händen. Die Hooters rockten die Hütte und machten daraus einen Livemitschnitt. Ein Kumpel war dabei und sechshundert Unbekannte. Alle sind zu hören auf der Platte. Dass die Hohezeit der aus Philadelphia stammenden Gruppe nicht viel länger als eine Dekade dauerte, ist insofern seltsam, als dass sie als Band alles boten, was über mehrere Jahrzehnte Bestand haben kann: eingängige Melodien, Spielfreude und unverwechselbarer Sound mit nahezu irisch-keltischem Einschlag. Es hat nicht sollen sein.

Aber die Töne sind nicht verklungen, von „Karla with AK“ über „Johnny B“ bis „Brother, don’t you walk away“. Das hält nicht lange still. Ein paar Mal die Saiten angeschlagen, dann feudelt Eric Bazilian die ersten Worte über den Soundteppich, und wo von Abschied die Rede ist, wo der Bruder nicht gehen, die Ferne ihn nicht verschlingen soll, bläst die Trübsal zum Angriff. Wären da nun nicht die kräftigen Hiebe des Schlagzeugs, die nach vierzig Sekunden den Dialog von Saiten und Sänger unterbrechen, würde die Schwermut den Raum erfüllen. Auf diese Weise aber reißt die Band das Ruder herum, will vermutlich genau das: austarieren zwischen melancholischem Spiel und ritterlicher Tapferkeit. Ein simpel aufgebautes Konstrukt nimmt sich die Freiheit, Hymne zu sein.

So recken wir Hörenden die Faust in die Höhe, aufrecht, aber demütig sich verneigend vor unserer Vergangenheit, die durch die Musik immer auch Teil unserer Gegenwart ist und ein Stück der Zukunft sein wird.