Da tobt er heran, ein wuchtiger Sturm der Mundharmonika. Charlie Watts entzündet mit sprühendem Trommelwirbel den Funken, der Sir Micks Lippen glühen lässt. Jaggers Blues-Harp-Spiel ist berauschend wie die Wasser der Victoria-Fälle; sein Gesang von durchtriebener „stiff upper lip“-Attitüde. Feinste Arroganz, die ein eigenes Instrument der klassischen Stones-Besetzung begründet, während Keith Richards und Ron Wood die Gitarrenparts wie eine Lunte knistern lassen, als wenn die Cowboys den Höhleneingang sprengen wollten, hinter dem sich funkelndes Gold befindet.

Aber sie haben es längst gefunden, dieses Gold, haben es jahrzehntelang mit Blut, Schweiß und Tränen in ihren Herzen bewahrt. Vier Rockstars, die erfreulicherweise nicht erwachsen werden, fanden zurück zu ihren musikalischen Wurzeln: zum Blues. Sie verbeugten sich vor ihm, dem niemals Sterbenden, und seinen Schöpfern mit dem Album „Blue & Lonesome“, das sie in drei Tagessessions einspielten, kein Stündchen länger. Ungehobelt, mit Kanten, in sinnlichster Form vertont. Dazu wären die vielen fragilen Pseudopopomaten von heute gar nicht in der Lage.

Howlin‘ Wolf schlägt Purzelbäume

Wenn Chester Burnett alias Howlin‘ Wolf am 11. Dezember 2015 von Wolke sieben auf die British Grove Studios in London hinuntergelugt hat, wird er es mit einem herzlichen Lachen getan und vor lauter Glück Purzelbäume geschlagen haben, denn an jenem magischen Tage, englisches Mistwetter über der Millionenstadt, Nebel und Kälte umwabern Big Ben und Tower Bridge, an jenem Tage veredelten die rollenden Steine sein faszinierendes „Commit a crime“, scharf gewürzt und flambiert serviert.

Frei nach Muhammad Ali schwebten die Rolling Stones wie Schmetterlinge und stachen wie Bienen, als sie in den altehrwürdigen Studios im Westen der Themse-Stadt zu spielen begannen. Ein Spiel, exakt, kein Job, sondern glühend heißer, innigster Wunsch, in das Epizentrum einer Welle zurückzukehren, die die „heile“ Welt einst in ihren Grundfesten erschüttert hatte. Wenngleich keiner, auch die Stones nicht, die Vergangenheit zurückholen kann, so bin ich doch der Überzeugung, dass die Glimmer Twins Jagger und Richards zusammen mit dem Sahneproduzenten Don Was und ihrem Orchester der Willigen dem Wunsch, eine Brücke zu bauen, die uns wenigstens für Momente mit Haut und Haar in die Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahre zurückschickt, so nahe gekommen sind wie niemals jemand zuvor. Es könnte jetzt mehr als bloß ein Shitstorm auf all den verpfuschten sozialen Medien auf mich einprasseln, wenn ich behaupten würde, dass dieses Album die beste aller Stones-Platten geworden ist! Na und? Dann postet doch!

I’m gonna leave you baby
Before I commit a crime
You tried so hard to kill me
Woman it just was not my time.

Liebe, Tod und Teufel hatte Howlin‘ Wolf in ein paar wenige Zeilen geflochten; die dem Gesang und der Blues Harp wetternd folgenden Tonlinie klingt trotzig, als wenn der Geschasste in wenigen Sekunden vor Wut zerspringen würde. Jaggers coole Band(e) spielte selten besser, und wie der sehnige Sir ihr gesanglich dazu die Gelegenheit gibt, ist schwer beeindruckend. Hier findet eine Kernschmelze statt; es brodelt der Blues und die Stones sind in der Lage, ihn bis zur nächsten Stufe, dem Rock’n’Roll, hochzukochen, ohne ihn anbrennen zu lassen.

Die hatten wirklich ihren Spaß in den Grove Studios, wo eine der größten Rockbands aller Zeiten dieses Album derart eindringlich auf Tonträger nagelte, sodass es wie eine saftige Fürbitte wirkt, der Blues möge niemals verklingen.