Es gibt Gewichte, die uns leichter machen. Es sind solche, die wir unseren besten Freunden und Liebsten abnehmen, um sie ein Stück zu begleiten. Das kann auf vielen verschiedenen Wegen geschehen, in guten wie an schlechten Tagen. Eines sollte dabei stets gleich sein: Die Spur, die unser Herz uns hier vorgibt, muss golden schimmern, mit Perlmutt bestreut, voller Glauben und Aufrichtigkeit für die gute Sache. Alles Berechnende zerstörte das, was uns zu Menschen macht.

Gut abgelagerter Neunzehnachtundsechziger

Ich weiß nicht, weshalb ich „The Weight“ („Die Last“) exakt mit diesen Ohren höre. Der gut abgelagerte Neunzehnachtundsechziger, der bis heute nicht vergangen und vergoren müffelt, trägt andere Botschaften in die Welt hinaus, nicht eindeutige, bleibt geheimnisvoll. Das ist die Kunst! Es geht um einen Reisenden, der in Nazareth an jeden, den er trifft, Grüße von seiner Freundin Fanny ausrichten soll.

Nazareth ist überall; es gibt zig Nazareths in den Südstaaten, sodass der Song zu einem surrealen Roadtrip wird. Wer ist Fanny, wer ist der crazy Chester und warum wartet Luke auf das jüngste Gericht? – „The Weight“ hinterlässt viele Fragezeichen, aber die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit könnte kaum spürbarer sein; da sind so viele biblische Anspielungen, die mich vermuten lassen, dass das Lied ein himmlisches werden sollte – und es schließlich auch geworden ist.

Wenn ich nun behaupte, die Version der Staple Singers sei zündender als das vergleichsweise müde Countryfolkgefummel der ikonischen Band „The Band“, aus deren Kreise dieses Lied einst geflossen war, dann hoffe ich inständig, dass der Frieden hält. Könnte natürlich sein, dass die Alt-Achtundsechziger faule Eier und Tomaten nach mir werfen. Aber nicht Güte noch Glanz dieser Komposition wollte ich hier in Abrede stellen, und ohne ein wirklich gutes Original gäbe es ja keine besseren Coverversionen. Insofern hatten Robbie Robertson und die Seinen damals alles richtig gemacht. Dutzendfach nahmen sich Künstler verschiedenen Genres das Teil zur Brust. Die Staple Singers machten es im Jahr 1970 am besten.

Mit dem ersten Pianoton kocht das Pathos hoch; es reichen wenige Sekunden, um „The Weight“ episch emporsteigen zu lassen. Dass die drei Schwestern Cleotha, Mavis und Yvonne um ihren Vater Roebuck „Pops“ Staples dem Song seine Last nehmen, von der er selbst kündet, ist so fantastisch wie gegensätzlich. Die beseelte Gospelattitüde, tänzelnd auf einem Hochseil aus Soul und Pop, vermag ihren harmonischen Reichtum ins nostalgische Geflecht hineinstrahlen zu lassen.

Papa Roebuck, Jahrgang 1915, kann seine Vergangenheit in der Golden Trumpet Gospel Group eben nicht verheimlichen, obwohl sein Gitarrenspiel aus dem Blues geboren wird. Durch diesen stilübergreifenden Clou strahlt „The Weight“ mehr Wärme aus und duftet wie frisch gebrühter Kaffee an einem Morgen, dessen dichter Nebel von immer mehr Sonnenstrahlen durchschnitten wird, bis das himmlische Blau der Hoffnung ganz zum Vorschein kommt. Und alle Last schwebt still hinfort.