Ein Sprichwort besagt, dass man nicht gleich auf jeden Zug aufspringen solle. Beim „Love Train“ von den Supremes mache ich gerne eine Ausnahme. Diese Luxuslokomotive aus dem Fuhrpark des krokantkernigen Motown-Labels ist ein vergnügtes Stückchen Soul aus den Siebzigerjahren. Diana Ross war das Zugpferd der in ihrer knapp zwanzigjährigen Bandgeschichte zigmal veränderten Besetzung, sodass die Gruppe nach einiger Zeit in Diana Ross & The Supremes umbenannt worden war – im „Love Train“ hatte sie allerdings schon kein Abteil mehr gebucht, war über alle Berge auf Solopfaden unterwegs und kehrte auch nicht mehr zurück.
Weil ich es aber ohnehin satt bin, das abgenuddelte „Baby Love“, die zerlumpte Vinylrille von „Stop! In the name of love“ und das durch Vielspiel atomisierte „You can’t hurry love“ (danke, Phil Collins…) wie Kamelle in die Runde zu werfen, serviere ich lieber eine Nummer, die in den vielen Hitnotierungen dieser Combo aus Detroit nicht auftaucht und deshalb frisch und knackig rüberkommt wie ein Wiener Würstchen mit scharfem Senf zwischen halb acht und zehn vor neun in der Frühe auf dem Wochenmarkt.

Auf den Gleisen des Guten
die richtige Weiche erwischt

Es ist die Lockerheit, mit der diese Bahn mühelos Strecke macht. Kein Koloss aus schwerem Stahl drängt hier dem Horizont entgegen, sondern ein hübsch geschmiertes Maschinchen, das auf den Gleisen des Guten die richtigen Weichen erwischt. Der Song wirkt fluffig wie Sahnecreme, die im Speisewagen zum Kaffee gereicht wird. Der Versuch eines kleinen Zwischenhochs mittels Instrumentalsolo wird nicht unternommen; allein der Gesang von Lynda Lawrence, Jean Terrell und Mary Wilson trägt die lässig flutende Komposition. Dieser Liebeszug fährt wie auf mit Seide überspannten Schienen; keine Saite, keine Snare Drum, kein High Hat sollen den Soul stören, den die drei Interpretinnen versprühen. Der Chor bettet die Leadsängerin auf wohlig-warmes Terrain, und übrigens geht’s hier nicht um heiße Zweisamkeit, sondern die Liebe als Welten rettende Mixtur.

Start a love train (love ride), love train
The next stop that we make will be soon
Tell all the folks in Russia, and China, too
Don’t you know that it’s time to get on board.

The Supremes kommen ohne Diana nicht hoch zu Ross daher, strahlen in den Ohren und Augen der eingeschworenen Fangemeinde vermutlich weniger Erhabenheit aus, aber diese Gravität mag auch nur Einbildung sein. Entscheidend ist ein anderer Faktor: Der Muff aus den Sechzigern verglüht in einer Glasur aus Disco und Funk. Der „Love Train“ zockelt nicht blutarm durch trostlose Wüstenlandschaft, um im Nirgendwo auszurollen, sondern dampft uschda-uschda unter der Silberkugel und hält am Gleis Schweiß: So simpel die Komposition, so tanzbar ist das Teil ab dem Moment, da sich die Türen schließen und der Liebeslindwurm seine Waggons in Wallung wabert. Gewiss schwingt ein Gutteil Sehnsucht nach alten Zeiten hier mit, als ob man den Brühen-Würfel für die Suppe aus der Maggi-Nostalgiedose fingert. Aber die Nostalgiedose steht im Küchenregal noch genauso markant, wie die Supremes aus der Plattensammlung leuchten. Und wo das nicht der Fall ist, vermag dieser Exkurs sie wieder in Erinnerung rufen zu dürfen, damit wir aufspringen auf den Friedensexpress, um die Welt smart-rebellisch zum Leuchten zu bringen.

People, ain’t no war
People all over the world (on this train)
Join in (ride the train)
Start a love train, love train
(ride the train, y’all).