Typisch udopisch knödelt sich unser coolster Hutträger aus einem Genre ins nächste hinein. Konzertpromoter Fritz Rau, quasi der Ahmed Ertegün Deutschlands, hatte Lindenberg, der jetzt 75. Geburtstag feiert und dessen erste Album-Veröffentlichung 50 Jahre zurückliegt, schon in den Neunzigern bescheinigt, der Einzige zu sein, der die Grenzen zwischen Rockstar und Chansonnier grazil übertanzen könne. Lieber Fritz im Himmel: Da lagst Du goldrichtig! Was Udo zauberhaft leger verrückt verrockt, sind klingende Likörelle, die sich aus in lässigem Leder gekleideten Uptempoturns von Rock und Roll als wunderbringende Kirchenfester auf den Gläsern unserer Seelen abzeichnen und mit der rauen Sanftmut seiner zigarrengeräucherten Bombastballaden zum kaleidoskopischen Udœuvre vermischen.

„Was hat die Zeit mit uns gemacht“ ist die Krone des Emotionalen; kribbelnd auf jedem zurückgelegten Millimeter. Ein majestätisches Werk über die Ruinen des Zweiseins, das von zwei einsam Gewordenen erzählt, die nicht fassen können, was mit ihnen geschieht. Als ob aus ihrer Mitte ein Fluss vergifteten Wassers entspringe, talwärts strömt bis zu den Klippen und dort in eine Tiefe stürzt, deren Leere übermächtig ist. Das reduziert instrumentierte Lied, im Krebsgang seitwärts schreitend und damit perfekt auf seine Aussage komponiert, transportiert den Kampf zwischen Feuer und Eis heißkalt.

Der Winter kommt,
Der erste Schnee, der fällt
Auf unser heißes Herz
Das hab ich nicht bestellt!
Polare Zeiten nah’n,
das ist nicht meine Welt.

Udo nuschelt es mit jener Blaue-Dunst-Attitüde, die nur er kann; für die megacoole „Unplugged“-Version holt er Blues und Soul mit ins Boot, weil Nathalie Dorra, seit 1998 festes Panikorchestermitglied, aus dem Schatten des Backgrounds nach vorne rückt, ins Licht zu ihm, dem Panikpräsidenten, der sich nach über fünf Minuten voller Achtung vor ihr verneigt. Das ist keine Show, es ist diese Herzlichkeit, mit der Udo den Menschen begegnet. Ich wünschte mir Politiker, die wie er sind: volksnah, nicht anbiedernd, ein bisschen ausgeflippt, beseelt und kritisch – aber vor allem die Zuversicht als glitzerndes Mysterium niemals verglühen lassend! Aus seinem Mayser zaubert Udo noch immer einen Bonbon Hoffnung, den wir lutschen können, wenn wir ihn brauchen, und wir brauchen ihn so sehr! Vermutlich ist es des umschwärmten Musikers Bürde, zwischen Hitnotierung, Tournee und Studioarbeit auch diese Rolle meistern zu müssen. Einer muss den Job ja machen. Allein dafür gebührt ihm (m)eine Verneigung.

Die Trommeln achtsam nur mit Fingern berührt; in ihrem warmen Ton verfängt sich der Klang einer Mundharmonika wie köstlichster Südwest in den Segeln unseres Mutes, und die Gitarre steuert auf einen Horizont, der uns nichts und alles verspricht.

Was hat die Zeit mit uns
gemacht?
Was ist denn bloß aus uns
geworden?
Was hat die Zeit mit uns
gemacht?
Ein eisiger Wind treibt uns nach Norden
In so ein Land
wo weit und breit
Ist es ein Schweigen oder Streit
Da will ich nicht hin,
das macht mich kaputt.

„Was hat die Zeit mit uns gemacht“ ist eine riesige Nummer, die uns erdet. Weil sie endet, wo ein neuer Anfang sein kann. Und selbst ein „ey“ klingt bei Udo Lindenberg geradezu poetisch.

„Ey, das weißt du doch:
Ich lieb‘ dich immer noch.“