Plus tôt habe ich das französische Chanson mit der Kneifzange nicht angefasst, und wenn beim Eurovision Song Contest alljährlich eine neue unbekannte Brüllhyäne aus den Baguettealpen ein Wirrwarr aus Schluchz und Schmonz in die müden Muscheln manövriert, hole ich währenddessen lieber die dritte Tüte Chips aus der Vorratskammer und gieße Wein nach, um das Gejammer sinnvoll zu überbrücken. Immerhin: französischen Wein. Nun aber, da Isabelle Geffroy mon cœur berührt, kriege ich keinen Ausschlag mehr und heiße das neue Chanson française in meiner sonst so fiebrigen Welt aus Rock ’n’ Roll willkommen.

Eingedenk ihres Geburtsortes Chambray-lès-Tours, der sich dort befindet, wo im Umkreis von wenigen Dutzend Kilometern die schönsten Gärten Frankreichs erblühen und ich eben jene Region nicht zuletzt aufgrund der Burgruine Cinq-Mars-la-Pile als meine zweite Heimat empfinde, verbinde ich mit Zaz, so nennt sich Isabelle, ein sinnliches Bukett aus Stil, Charme, Lust und Koketterie. Sie enthebt das klassische Chanson seiner diabetesgeschwächten Zuckerschwere mit feiner Jazz-Stilistik und Prisen von Pop- und Big-Band-Sounds, um etwas Neues zu kreieren. Obgleich das schwammige Element des Genres mitunter munter durchbricht, so fängt sie doch Feuer für mehr. Zaz trägt den Blues in ihrer Stimme wie einen Barren Gold voran. Ihre Songs spiegeln die Grandezza der stolzen, weißen Loire-Schlösser wider, in deren Dunstkreis sie als Kind und Jugendliche aufgewachsen ist.

Die Fähigkeit, einen Song klingen zu lassen in gleicher Fröhlichkeit und Anmut, in der der Goldmohn im Juliwind an der Route départementale zu tanzen pflegt, offenbart Zaz in ihrer Version des Charles-Aznavour-Knüllers „Oublie Loulou“ köstlich flirrend und federnd leicht. Süß wie Marzipan fühlt sich das an. Sie sprudelt wie ein Brunnen die Worte hervor, schneller als Aznavour, und sie schafft den Spagat, ihn, den großen Chansonnier dabei nicht alt aussehen, sondern ihn mit ungekünsteltem Charme hochleben zu lassen. Wie eine Eiskunstläuferin Pirouetten vollführt, so verschmitzt wirbelt Zaz das Vergessen um die schöne Loulou lächelnd zwischen den Oktaven, setzt dem poetischen Antlitz ihrer Muttersprache, deren Plus-que-parfait mich nicht weniger fertig macht als das Conditionnel passé (wozu braucht man das eigentlich?), ein lebendiges Denkmal.

Violin-Kollagen à la Stephane Grappelly

Gitarrist Guillaume Juhel kommt kaum hinterher, so rapide ist sie unterwegs, und Violinist Mathias Levy garniert die Strecke des Schnellfeuervokabulars mit Kollagen à la Stephane Grappelly – überhaupt scheint Zaz unbewusst längst eine Verbindung zum unvergessenen Django Reinhardt aufgenommen zu haben, und in jedem Selbstlaut verteilt sie Küsschen an die, die ihr an den Lippen hängen. An mich auch. Ich finde das Gesamtpaket Zaz so herzerfrischend, dass ich jetzt anfange zu üben, „Oublie Loulou“ zu singen, um beim Interviewtermin auf Burg Cinq-Mars-la-Pile in der Touraine mit ihr anzustimmen:

„Oublie, oublie Loulou
Mais oublie mais oublie Loulou oublie la donc
Oublie, oublie Loulou
Mais oublie mais oublie Loulou oublie la donc
Si tu ne veux pas, tu ne peux pas tu le pourras pas ha ha
Si tu le veux, tu le peux, c’est un jeu et voilà.“

Sie, die Zuckersüße, braucht dafür exakt 13 Sekunden. Mon Dieu, was tut man nicht alles pour un flirt mit Zaz …