Hameln (ey). Ausgerechnet! Jürgen Schoormann, Experte für Jazzmusik, der bei Radio Aktiv nicht weniger als 588 (!) „All that Jazz“-Sendungen zu Gehör brachte, rezitiert aus Patrick Süskinds „Der Kontrabass“ die Zeile: „Im Übrigen lehne ich Jazz ab.“ Im Grunde wahnsinnig lustig. Dass Schoormann, überhaupt vorträgt, nicht das erste und nicht das letzte Mal, hängt mit der Literarischen Stunde zusammen. Längst Kultstatus hat sie. Aus der Taufe gehoben vor mehr als 35 Jahren als Kinderl der Hamelner Bibliotheksgesellschaft.

„Es sind immer zwischen 20 und 40 Zuhörerinnen und Zuhörer dabei“, sagt Jürgen C. Kruse. Er organisiert die Vortragsreihe heute – früher wurde sie maßgeblich von Gisela Buchholtz und der unvergessenen Annemarie Müller-Steinbrecher geprägt.
Literarische Stunde. Das sagt sich so leicht. Aber es sind nicht allein sprunghafte, seidenweiche Zeilen, die hier von Hamelnern für Hamelner aus Büchern der Weltliteratur vorgetragen werden, nein, hier geht‘s schon auch ans Eingemachte. Zwölfmal im Jahr, immer am zweiten Mittwoch im Monat, immer um 10.15 Uhr und immer in der Pfortmühle, gewissermaßen dem Zentrum der Zeilen, wo doch dort die Stadtbücherei wohnt. Nur diesmal nicht, nicht am vergangenen Mittwoch und nicht in den nächsten vier Monaten. Aufgrund der Umbauarbeiten in der Pfortmühle lädt die Bibliotheksgesellschaft ausnahmsweise in den Vortragsraum des Museums ein, was Jürgen C. Kruse zur Begrüßung der Auftaktveranstaltung 2023 so kommentierte: „Wir sind museal geworden.“

Museal bedeutet ja nicht angestaubt

Museum bedeutet ja aber nicht zwangsläufig angestaubt. Wenn Jürgen Schoormann ins Parlieren kommt, schon mal gar nicht. Süskinds Kontrabass emporgehoben, so charmant kundgetan, dass die Grenzen zwischen dem geschriebenen Werk und der Improvisation des Zitierenden, und sei es nur ein Räuspern an der richtigen Stelle, ineinander fließen. Der Kontrabass, „dieser Dreckskasten“, der vom Protagonisten, seinem Spieler, ganz und gar nicht geliebt wird, fast als Ein-Mann-Mini-Theaterstück im Sitzen. „Und eigentlich ein Drama, denn er ist ja traurig, der Kontrabassspieler“, sagt Jürgen Schoormann. Plus unglücklich verliebt. Kommt aber auch alles zusammen in Süskinds Einakter, neben „Das Parfum“ sein bekanntestes Werk. Und ganz im Gegenteil zum Protagonisten – der da behauptet: „Ein schöner Ton ist da nicht drin, das hängt mit der Physik zusammen“ – nur schöne Töne bei dieser Lesung. Weil: witzig, informativ, frech, unterhaltsam. Weil ein von seinem Instrument genervter Musiker zwar „nur eine Planstelle im streng hierarchisch geregelten Orchester“ ist, aber Schoormann es schaffte, eine Stunde lang gar köstlich den Zauber dieses Buches in die Runde der Zuhörenden zu geben, ja: Jetzt will man‘s unbedingt mal selbst wieder lesen! Denn innerhalb von 60 Minuten ist das ganze Werk natürlich nicht vortragbar, völlig klar. „Man kann in der Literarischen Stunde über alles reden, nur nicht über die Stunde.“ Der Jazzer, der den Kontrabass liest und tüchtig Applaus erhält, fast schon poetisch!

Bibliotheksgesellschaft wird 40 Jahre

40-Jähriges feiert die Bibliotheksgesellschaft Hameln dieses Jahr. In mindestens 35 Jahren davon gab es jeweils zwölf literarische Stunden. Macht summa summarum weit über 400! Kleine Kultur ganz, ganz großartig. Und die nächsten Termine stehen schon fest. Die nächsten drei (alle 10.15 Uhr im Vortragsraum des Museums):

8. Februar: Ulrike Bennemann liest „Helga Schubert: Vom Aufstehen“
8. März: Ingrid und Jürgen C. Kruse geben sich ein Stelldichein mit „Morgennatz und Ringelstern: Sprachspielereien“
12. April: Jürgen Schoormann mit Robert Seethalers „Der letzte Satz“