Von Jens F. Meyer

Die Gerüchte mehren sich von Jahr zu Jahr, dass Weihnachten immer so plötzlich kommt. Ich kann’s nicht bestätigen, ich finde, es kündigt sich immer früher an. Beweis Nummer eins: Meine Schwiegermutter hat Marmelade gekocht: „Pflaume – mit Zimt“; sie nennt sie „Weihnachtsedition“. Beweis Nummer zwei: Sie hat auch schon genug Butter gekauft, um im November Stollen backen zu können. Gute Butter, die jetzt abrufbereit auf Eis im Schrank liegt. Beweis Nummer drei: Mich erreichte am heißesten Tag der Woche die E-Mail eines Butterschmalzherstellers mit der Betreffzeile „Himmlische Weihnachtsbäckerei“. Beweis Nummer vier: Ich habe diese E-Mail an meine Schwiegermutter weitergeleitet. Beweis Nummer fünf: Sie hat nicht geantwortet. Ob sie schon Kekse backt?

Es gab mal eine Keksfabrik in Emmerthal, in der ich als armer Jurastudent Nachtschicht schob. Zwei Monate lang zu einem lumpigen Lohn, aber Kekse satt bis zum Würgen. Lebkuchenherzen mit Aprikosenfüllung kann ich seitdem nicht mehr ertragen; ich saß an einer Maschine, in der sie zu 150-Gramm-Bündeln durch einen Trichter in Tüten fielen. Manchmal fielen sie auch daneben, das lag dann am sogenannten Nullpunktfehler. Ich habe in meinem ganzen Leben nie wieder so viele Herzen zerbrechen sehen. Nun, jedenfalls: Es war Spätsommer, sauheiß, auch die Nächte, und eigentlich fehlte nur ein Tannenbaum im Pausenraum. Weihnachten ab August ist für mich also völlig normal. Wir sollten es genießen. Pandemie! Falls es im Dezember ausfällt.