In den Endsechzigern und Siebzigern trug Lionel Richie einen Afro auf der Murmel, der ihn wie eine Klobürste aussehen ließ. Ich darf das so schreiben; in den Achtzigern war ich selber eine. Nun, jedenfalls war Richie rich an Songideen, steckte mit fünf Studienkollegen die Bauschköppe zusammen, was wie „social distancing“ ausgesehen haben muss. Sie schrieben Songs, traten live auf, wurden lokal berühmt im Raum Detroit. Sie hießen sich die Jays, woraus die Commodores wurden. Eine Zeit lang tat sich wenig, auch weil sie lieber noch ihre Betriebswirtschaft und Elektrotechnik zu Ende studieren wollten. Drollige Kerle. Musik, das war ihr Hobby. Allerdings nicht mehr, als ein Manager des Motown-Labels an ihre Tür klopfte…

Ich muss gestehen, die Commodores erst auf dem Schirm gehabt zu haben, als sie 1985 „Nightshift“ herausbrachten, eine Hommage an Jackie Wilson und Marvin Gaye. Lionel Richie war da aber schon über alle Berge, weil Motown Records bei ihm das Potenzial eines Solodurchstarters sah. Was sich ja auch bewahrheiten sollte. „Nightshift“ ist ein Superteil, eine Hitbombe mit Achtziger-Zündschnur. Keine Party, auf der diese ruhige Kugel nicht geschoben wurde. Trotzdem (nach so vielen Jahren darf ich es zugeben): The Commodores hatten weit vor ihrer Nachtschicht größere Kracher erzeugt. „Brick House“ finde ich fabelhaft!

„Ow, she’s a brick house.
She’s mighty-mighty, just lettin‘ it all hang out.
She’s a brick house.
That lady’s stacked
and that’s a fact.
Ain’t holding nothing back.“

Die Nummer hat zweideutig Sexappeal. Eine Lady wie ein Backsteinhaus. Alles am richtigen Platz. Die Commodores singen erotisierend, frech und frei von allen Fesseln. Aus dem Gesamtverzeichnis dieser Band mit ihren vielen herbstregenschweren Liebesballaden flippt „Brick House“ im Discofieber wie ein Hagelschauer aus heiterem Sommerhimmel. Korn für Korn prasselt rhythmisch nieder, dann schmilzt das Eis und die Lady schwingt die Hüften. Keine Commodores-Nummer ist mehr funky, keine trägt ein frivoleres Kleidchen. Der sonst taktvolle Schmelz der Gruppe ist einem spritzigen Spiel gewichen, in dessen glühendem Zentrum der energiegeladene, leicht biestige Gesang und die messerscharf stechenden Bläsersätze wirbeln, während der Bass murmelt wie fernes Donnergrollen. Ich weiß nicht, wie viele Kinder auf das Konto des 1977er Top-Ten-Hits gehen, aber die es betrifft, sind jetzt alle um die 43 Jahre alt.

„Brick House“ zeigt, wie Funk zünden muss: Die Lunte brennt ab der ersten Sekunde und mölmert bis zum Schluss durch. Dabei gibt es keine finale Explosion, sondern Eruptionen auf ganzer Linie. Die Disco verwandelt sich in ein Treibhaus, Parkett und Fliesen der Fläche werden zu glühender Kohle unter den Füßen, und der Abstand zwischen den Tanzenden wird sekündlich kleiner. Körper schlängeln sich aneinander entlang, verschmelzen ineinander. „Brick House“ ist, um Marvin Gaye zu bemühen, „Sexual Healing“, Baby.

Und es ist super produziert, so gut, dass ich über Dünnbrettbohrernummern wie „Oh no“ locker hinweghören kann. Was nicht heißen soll, dass da nicht auch ein paar ruhige Goldstücke im Commodores-Kämmerlein lauern. „Easy“ wurde ja selbst von den Artrock-Metal-Melonen von „Faith No More“ gecovert. Hunderttausende Rockfans hätten das Prachtstück vorher nicht mit der Kneifzange angefasst, aber da wurden harte Kerle weich wie Kartoffelstampf. Ab in die Ecke mit Euch, schämen! Und wenn Ihr das getan habt, hottet ab, Ihr Lümmel. Und alle anderen auch. Bis ich Euch in der kommenden Woche von Ober-Commodore Lionel Richie erzählen werde …