Total verzaubert, das kam so: Ich saß, von belgischem Leffe-Bier leicht lull und lall, in einem bretonischen Gasthaus namens „Café du Port“ in Lomener an der Atlantikküste und lauschte der französischen Musikerin Aurélia. Mario, Wirt und gute Seele dieser wohnzimmergroßen Kneipe, in der Künstler gelegentlich zu Gast sind, hatte mich einige Tage zuvor zu diesem Konzert eingeladen. Dass ich es mein Leben lang nicht vergessen werde, davon sagte er nichts. Ist aber so, daran ändern selbst die mächtigen Stadion-Gigs von Genesis, Tina Turner und den Rolling Stones nichts, die mich prägten.

Von Goldstaub umwehte Augenblicke

Die größte Kraft steckt ohnehin nicht im Monumentalen, sondern in kleinsten Momenten, in Augenblicken, in denen Zeit und Raum ihre Bedeutung verlieren und unsere Sinne wie von Goldstaub umweht werden. Wie im Café du Port chez Mario: Aurélia spielte Gitarre und Klavier, sang. Es war eine außergewöhnliche Version des „Redemption Song“ von Bob Marley dabei, vor allem aber eigene Kompositionen, die ein Kleid tragen, so wundersam seidenmatt glänzend wie die Blütenblätter des Orientmohns.

„Don’t ask me why“ berührte alle Zuhörenden, auch die mit über einem Promille (die deutlich in der Mehrheit waren). Es wurzelt tief, wächst stark wie ein Catalpa-Baum in meinem Innersten. Nicht, weil es von aufrichtiger Liebe erzählt und ihre Verletzlichkeit zum Thema macht, sondern weil Aurélia das Sujet in ein musikalisch maßgeschneidertes Gewand kleidet. Sanftmütig, dennoch mit klarer Kontur, spielt sie Gitarre, und ihre Stimme hat die Konsistenz von Marzipan mit Zartbitterschokoüberzug. Wie der Rotmilan seine Flügel ausbreitet, um die Thermik zu nutzen, so stülpt die junge Sängerin mit dem Klang ihrer selbst einen Regenbogen über ihr feinfühlig komponiertes Oeuvre. Im Duktus klassischer Singer/Songwriter-Qualität bewegt sie sich stilsicher zwischen den Welten aus Folk und Pop; und es ist ohne Zweifel ein großes Gefühl, das sie mit „Don’t ask me why“ verarbeitet und weiterreicht. Gütig und warm dargeboten; trotz aller Zerrissenheit aber auch immer ein Krümelchen Hoffnung mit sich führend.

Es gibt Songs, die so bewegend sind, dass sie uns tragen, ein Stück weit oder auch bis ans Ende der Welt. „Don’t ask me why“ trägt mich bis dorthin und noch zurück, und ich wünschte mir, dass aus den 11 000 Nutzern, die sich Aurélias Video auf YouTube runtergeladen haben, Millionen werden. Ich höre dieses Lied und denke an die stolze Bretagne, den forschen Wind, den breiten Strand, die kleine Kneipe, und bewahre die Melodie in einem unsichtbaren Schatzkästlein direkt am Herzen. Dass ich nicht dasselbe von anderen Musikfans verlangen kann, ist klar, denn jeder findet einen eigenen Zugang. Aber dass mit Aurélia ein Diamant kaleidoskopisch zu funkeln begonnen hat, davon bin ich überzeugt. Und fragt mich nicht, warum, don’t ask me why, es ist einfach so.