Quietschvergnügt schnipseln Floyd Cramers Finger über die schwarzweiße Tastenreihe, so fröhlich, wie Sonnenflecken durch Spätsommerapfelbaumkronen den Boden an windigen Tagen bestreuseln. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass Cramer – als Mitglied der Country Music Hall of Fame und Rock and Roll Hall of Fame hoch dotierter Musiker – Lehrmeister für Rowlf, den Klavier-Hund aus der Muppetshow gewesen sein müsste!

Ein hinreißendes Spiel, in Saloon-Manier so leicht und luftig vollbracht, dass man nicht glauben mag, dass „His Latest Flame“ von einer großen Enttäuschung erzählt. Hier geschieht in der Tat trotz anhaltender Dur-Stimmung Tragisches. Die neue Flamme des besten Freundes ist jenes Mädchen, das dem supersauber singenden Elvis Presley noch gestern selbst in seinen Armen liegend versprach, immer bei ihm zu bleiben. Traumhaft traurig; ein wirklich bemerkenswerter Song.

He talked and talked
and I heard him say
That she had
the longest blackest hair
The prettiest green
eyes anywhere
And Marie’s the name
of his latest flame.

Sie blieb nicht für immer, diese Flamme, die jetzt für einen anderen brennt. Aber Elvis‘ Feuer leuchtet ewig in uns! Dabei liegt ein dunkler Schatten über seinem Schicksal, weil ihm Blockflötengesichter der Unterhaltungsbranche mit widerlicher Anbiederung und größtmöglichem Druck in schrille Schlagerhaftigkeit („Muß i denn ins Städele hinaus“) und bekloppte Filme („Blaues Hawaii“) drängten. Paradebeispiele dafür, wie man eine gute Seele ausquetscht, die nicht Nein sagen kann, nicht darf, um auf Teufel komm raus viel, viel Geld zu verdienen. Es war der Anfang vom Ende eines Künstlers, der es verstand, Brücken zu bauen – Brücken, die das Ufer der populären Musik erreichten. Sie stehen auf festen Pfeilern, unumstößlich im Strom der Zeit.

Es gibt viele gute Songs, die er, „The King of Rock ’n‘ Roll“, performed hat; aus eigener Feder waren die wenigsten. „His Latest Flame“ vermag angesichts des beeindruckenden Songbooks vielleicht nicht die Spitze darzustellen, spannt aber mit Drums, Gitarre, Bass, Klavier und Elvis’ fesselnder Stimme einen Bogen, der in allen Farben am Firmament unseres Innersten wie Nordlicht zu schillern weiß. Und es klingelt trotz der nostalgischen Note nicht unmodern in unseren Ohren, sondern grubbert die Zeit vergessend taktvoll im Gemüte, sodass wir tanzen möchten, tanzen und küssen.

Es ertönte aus Radios, die noch Namen trugen

Als 1961, also vor genau 60 Jahren, dieses Lied eingespielt und veröffentlicht wurde, ertönte es aus Radios, die noch Namen trugen, weil Musik noch Seele hatte. Es waren Röhren- und Transistorgeräte, pfundig im Klang, haptisch picobello, und ich kann mir bildhaft vorstellen, wie es wohl war, als das Philips Philetta 273 zum ersten Mal angeschaltet wurde. Gerade gekauft. Man drückte auf den Knopf, dann spuckte es Töne aus, Worte, Musik, Beats. 1960 und 1961 ist dieser Kultkasten gebaut worden, den HALLO-Leser Klaus Diedrichs aus Bodenwerder noch heute sein Eigen nennt; es kann wirklich gut sein, dass „His Latest Flame“ von Elvis Presley einer der ersten Songs war, die das Philetta spielte, ich möchte es mir gerade gar nicht anders ausmalen, ja, so war das damals!

And Marie’s the name
of his latest flame
Yeah Marie’s the name
of his latest flame
Oh Marie’s the name
of his latest flame …

Dieses Lied – wahrhaftiger Wohlklang.