Unheilschwanger zieht es herauf, dieses Monster, breitet seinen riesigen Schatten aus und stülpt die Dunkelheit über einen tiefschwarzen Wald, der alles Sternenlicht verschluckt. John Paul Jones’ Keyboards fallen wie himmlisches Weiß auf einen geheimnisvollen Weiher, und wo es leise stöhnend auftrifft, zieht es Kreise, in denen Robert Plants Antlitz wie ein verzerrtes Spiegelbild zu schimmern scheint. Sein Gesang erklingt wie aus Walhalla entsendet. Finsternis ruht auf den Wipfeln und die Winde von Thor blasen kalt. Sie tragen Stahl und stürmen Seit‘ an Seit‘ mit dem Tod; die Hunde des Verderbens bellen lauter als je zuvor. Der Schneesturm schneidet eisig in den Gesichtern der Krieger, und kein Zurück wird ihnen beschieden sein, kein Entkommen aus der Schlacht. Sie sind auf fremdem Boden gemeinsam in Einsamkeit verstrickt, können kein Quartier beziehen. „No Quarter“.

Close the door,
put out the light.
No, they won’t be home tonight.
The snow falls hard
and don’t you know?
The winds of Thor
are blowing cold.

„No Quarter“ ist ein Ungeheuer und die vier Furchtlosen, deren Musik alle Prüfungen der Zeit bestanden hat und aus derer Mitte dieser Diamant wie einer von vielen aus einer Schachtel funkelnder Steinchen leuchtet, sind die Dompteure. Ein majestätisches Werk, flambiert von Jones‘ murmelnden Keyboard-Sounds, die wie aus der Unterwasserwelt kühl und kühn an die Oberfläche gluckern, um dort mit dem reichhaltigen Klanggewebe der Gitarrenarbeit eines Jimmy Page und den Bonham’schen Entladungen am Drumkit auf Geysirtemperatur gekocht zu werden. „No Quarter“ ist epischen Ausmaßes, ein Lied wie ein Planet, das Plant, aus tiefstem Schlund geschickt, mit einem Gesangsteppich auslegt, dessen raue Fasern die Piloarrektion auf Maximum treibt. Sieben Minuten wollüstige Kunstfertigkeit aus dem sonnenheißesten Zentrum, das die populäre Musik zu bieten hat.

Die Rock ’n’ Roller von Led Zeppelin haben vom ersten Album an Grenzen gesprengt, eckten mit den Folktönen von „III“ bei vielen Fans gehörig an und öffnen auf Album Nummer vier („Houses of the Holy“), entstanden im Jahr 1972 und veröffentlicht 1973, bei „No Quarter“ in heldenhafter Pose zahlreiche Genre-Schubladen. Rock und Folk fließen ineinander über, Sphärisches mischt sich mit Knackigem, und dass Jimmy Page über die gesamte Strecke eher jazzig orientierte Saitenarbeit leistet, ist ziemlich lässig.

John Paul Jones gibt dem Ungeheuer ein Rückgrat

Nicht eine Sekunde lang splittert das Songgebilde, alles ist fest vertäut und komplex in einem Arrangement, das weder verbesserungs- noch veränderungswürdig erscheint. Als ich 1994 schwer begeistert das „Unledded“-Album von Page & Plant kaufte und darauf „No Quarter“ in einer rüden Unplugged-Version zu mir nahm, kam ich zu dem Schluss, dass kein weiterer Versuch unternommen werden sollte, das Werk viel anders zu spielen als im Original, jenem wahnsinnigen Koloss, der auf der Kante zum Abgrund balanciert, aber nie abstürzt, weil ihm John Paul Jones das keyboardblubbernde Rückgrat gibt. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass Jones beim „Unledded“-Projekt nicht dabei war …

So drücke ich also auf die „Play“-Taste und semmel „No Quarter“ in die Dämmerung. Vorher höre ich noch „Dazed And Confused“, lasse den „Black Dog“ von der Leine und gebe mich schließlich der „Battle Of Evermore“ hin in diesen wilden Zeiten, die nach Haltung suchen. Rockmusik in einer solchen Souveränität ist eine.