Es stranguliert mich. Es nimmt mir die Luft; mein Atem ringt nach Tiefe im beinahe bleiernen Beginn dieses facettenreichen Diamantgewölbes intensiver Popkultur. Ein Intro wie Himmel und Hölle! Curt Smiths‘ konsequente Basslinie ist der Pfeiler, in dessen Geflecht sich ein scheinbar haderndes Schlagzeug noch seine Heimat suchen muss. Keyboards tröpfeln hinein wie Olivenöl auf Tomate-Mozzarella, die Drums finden einen Rhythmus, und erst allmählich fügen sich alle einzelnen Komponenten zu einem gemeinsamen Ausflug aus der bedrückenden Stille heraus.

Sie haben einen Pakt mit dem „Rainmaker“ geschlossen; ich mag es kaum glauben, wie sie rollen, die Tränen über mein Gesicht, während ich diese Zeilen schreibe, um sie der Welt zu schenken. Nichts weniger habe ich damit vor; jener Welt, die von Männern mit Herzen aus Stein beherrscht wird, solchen Sackgesichtern, die die Frau in Ketten legt, wie es uns der Titel verrät, um ihre Seele gegen Haut und Knochen zu tauschen. „Woman in chains“ ist vollflächig verlegte Gänsehaut, und wo das Parkett der Erpelpelle bei anderen viel zu oft gespielten Liedern im Laufe der Zeit abgenutzt wurde, wird es hier immer wieder neu geölt, weil: nicht ausgemergelt, da es einen Anspruch erhebt, mehr zu sein als seichte Unterhaltung – und eben aus diesem Grund selten bis nie aufgelegt wird.

„Shout“, der irre gewaltige New-Wave-Pop-Sechsminüter, hat daran einen großen Anteil, weil die meisten Radiosender ihn für die nächste halbe Ewigkeit nicht aus der Schleife schleudern werden, und kaum jemand, der daran zweifeln soll, dass der größte Hit von Tears for Fears das nicht verdient hätte. Aber eben in diesem Schatten lagert „Woman in chains“ gewissermaßen unerhört wie eine Perle in einer Muschel tief am Melodiengrund. Taucht der Song an die Oberfläche, wird er zum Festgesang.

Was irgendwie klar ist, weil Sänger Roland Orzabal sich Oleta Adams als Duettpartnerin ausgesucht hat. Oleta, eine Stimme wie Café noir („Get here“). Orzabal hatte sie in den Achtzigern selbst entdeckt und am Ende der Dekade dann für seinen, wie ich finde, tiefgründigsten Song an die Kette gelegt. Ihr Soul krönt das edel getragene Kraftwerk, sie gibt der Anklage mehr Gewicht und vollendet, was unvollendet klingen würde ohne sie. Es ist dem kreativen Zentrum der Band aus dem schönen Bath in Südengland zuzuschreiben, die Chance auf Vergoldung entdeckt und ausgeführt zu haben. Zurückzustecken, um den Segeln der eigenen Kreativität neuen Wind zu geben, ist auch eine Kunst.

Da wäre zudem die nicht ganz unwichtige Tatsache, dass die Schießbude von Phil Collins befeuert wird. In großem Stil, so heißt es, sollte Collins den Song à la „In the air tonight“ prägen, aber obwohl er dem Gefüge unüberhörbar seinen Stempel aufdrückt, weiß er sich doch genau ein- und unterzuordnen. So wirkt das exquisite Teil, als zweite Single aus dem Album „Sowing in the seeds of love“ ausgekoppelt, wie aus einem Guss, ohne spannungsgeladene Höhen vermissen zu lassen.

„Ich fühle tief in deinem Herzen,
dass es Wunden gibt,
die die Zeit nicht heilen kann.
Und ich habe das Gefühl,
dass irgendwo jemand versucht zu atmen.
Es ist eine verrückte Welt,
die die Frau in Ketten hält.“

Ein finsteres Werk. Nach so langer Zeit aktueller denn je. Es stranguliert mich. Es nimmt mir die Luft; mein Atem ringt nach Tiefe.
Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Welt eine bessere werden kann, vor allem solange es Musik gibt, die uns daran erinnert, dass wir das unerreichbare Ideal doch stets zu erreichen versuchen sollten. Nicht das Ende des Regenbogens ist ja das Ziel, sondern der Weg dorthin.