Gerade musste ich mir „Last Christmas“ auf Speed anhören; dolle misslungenes Geschrammel einer namenlosen Thrash-Metal-Rübe, die den zart schmelzenden Welthit von George Michael in höchstem Maße monoton verjuxt. Ein Kollege, der noch längere Haare trägt als ich, dessen Verstand aber nicht kürzer ist als meiner, hatte die Scheibe zum Zwecke des Bürodurchlüftens mal schnell von Youtube runtergeladen. Viren waren keine mehr im Raum, aber mir floss Blut aus‘m Ohr und ich sabbelte wegen der bröselnden Lauscherchen seltsame Worte.

In einer Melange aus Schock und Taubheit gab ich zu, eine „Best Of“-Scheibe von La Bouche im Plattenschrank stehen zu haben. Vollkommen verstaubt, weil jahrelang nicht angerührt, aber da war mein Renommee als Rock ’n’ Roller schon ramponiert. Ist der Ruf erst ruiniert, ist‘s auch egal, wenn ich hier zwar nicht La Bouche, so doch aber eine andere Eurodance-Nummer aus dem Sarg der untoten Neunziger-Melodeien friemele, über die wir ehedem dazu Tanzenden heute gerne den Mantel des Schweigens decken, die sich damals aber, zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts vor dem Jahrtausendwechsel, wie ein Tattoo in die Hörschnecke kasperte: „Saturday Day“ von Whigfield. Meine mitrockende Lieblingskollegin Meike geht von Schrottwichteln aus, was ich den Hi(t)Story-Lesern hier andiene. Dass sie, sonst auf Metallica und Alice Cooper gebürstet, nach kaum einer Millisekunde Whigfields Tanzflächenfeuer sofort melodiös vor sich hinflöten kann, ist sicher aber kein Zufall. „Oh Mann, jetzt kriege ich diese Sch…-Tonfolge nicht mehr aus dem Kopf.“ Meiki, das ist der Trick!

Saturday night, I feel
the air is getting hot
Like you baby
I’ll make you mine, you know I’ll take you to the top
I’ll drive you crazy

Whigfields Stimme klingt wie die von Minnie Maus, wenn sie Schnupfen hat. Eigentlich ist sie Dänin und heißt Sannie Charlotte Carlson, aber der gleichklingende Karlsson war 1994 ja schon lange auf dem Dach und ein verbrauchter Name. Deshalb benannte sie sich nach ihrer Englischlehrerin und wurde dank eines Musikproduzenten namens Larry Pignagnoli ein Eurodance-Star. Dr. Alban sang vor Freude „Sing Hallelujah“, Haddaway fragte „What is love“, tut es bedauerlicherweise bis heute, und die Band Mr. President tanzte leicht bekleidet im Video „Coco Jamboo“. Mittendrin „Saturday Night“. Das 1994er Nümmerchen schob sich in fünf europäischen Ländern auf Platz 1 der Charts. Musikalisch gibt es zum hyperleichten Geknödel wenig zu sagen; es ist ein mittelpassables Lalala, aber es klebt in unserer Erinnerung wie Harz am Fichtenstamm und bringt uns Jugend zurück. Kein schlechter Deal. Whigfield und Larry kochten aus ihrem Minimum ein Maximum – als Mega Mix, Club Mix, Remix Mix und weiß der Teufel Mix. Ich hätte nicht schlecht Lust, miteinzusteigen und daraus noch den „Musik aus dem Nix Mix“ zu produzieren. Könnte sich lohnen.

Lohnen deshalb, da ich für Whigfield laut eingehender Recherchen nicht nur die Top-Chartplatzierungen feststelle, sondern bis zum heutigen Tage auch fast 50 Singleveröffentlichungen und einige Longplayer. Gar nicht so wenig erfolgreich.

Letzte Meldung: Der langhaarige Thrashrocker hat sich für viereinhalb Monate krank gemeldet und Meike macht jetzt lieber Home Office. Ich sitze allein im Büro, ohne Virenlast und Mundschutz, und höre mir „Saturday Night“ sogar an einem Montagvormittag an. Klingt gar nicht übel.