Von Jens F. Meyer

Weserbergland. Eigentlich ist jetzt Advent. Und uneigentlich auch. Das hindert die Natur offensichtlich nicht daran, letzte Blüten noch dann zu bilden, wo eigentlich schon die Weihnachtsbeleuchtung im Garten erstrahlen sollte. Und uneigentlich auch … HALLO-Redaktionsleiter Jens F. Meyer nimmt als „Beetflüsterer“ die ungewohnten Farben dort draußen im grauen November zum Anlass für muntere Gedanken der Freude und des Innehaltens. Advent, Advent mit Happy End – trotz Pandemie zumindest aus des Gärtners Perspektive.

Was der Borretsch, das allseits beliebte „Gurkenkraut“ mit dem botanischen Namen Borago officinalis (also eine als Heilkraut eingestufte Pflanze) im sonst recht farb-, aber nicht trostlos gewordenen Steingartenbereich und in den jetzt weitestgehend schlummernden, gemischten Staudenbeeten macht, ist aller Ehren wert: Er blüht in schönstem Blau, vielleicht nicht ganz so strahlend wie zur Sommerszeit, aber doch immer noch himmlisch. Während das Allerleigrau am Firmament nicht gerade zum Jubilieren einlädt – so wenig wie es die allgemeine Pandemie-Situation auf Erden tut –, behält sich der Borretsch also vor, uns weiterhin mit Freude zu umgarnen. Und er ist nicht die einzige Pflanze, die entgegen ihrer Aversion gegen zu wenig Licht und zu viel Kälte noch mit einigem Stolz in vielen Gärten im Weserbergland durchhält. Hier und da tröpfelt der in Orange und Buttergelb warm kolorierende Flor von Studenten- und Ringelblume nicht allein in unsere Augen-Blicke, sondern von dort noch viel tiefer hinein, bis ins Herz, dem Tor zur Seele. Sie schäumen nicht mehr über, die typischen Einjahresblüher, die Sommerblumen, die keinen Winter überdauern; keine Wellen und Wogen ausgelassener Freude, keine Gischten sprühen überbordend, aber doch noch ein strahlendes Dutzend Köpfchen an Rabattenrändern oder aus bepflanzten Zinkwannen hervorsprießend, während ringsumher bereits das kahle Geäst der sommergrünen Gehölze und das zu Boden gefallene Laub einen Kontrast zeigen, der nicht schärfer gezeichnet werden könnte. „Und es war Sommer“ lautet der Titel eines sehr bekannten Schlagers; das Verb dürfte ohne Weiteres in das Präsens versetzt werden, denn wo auch die Bergminze ihre unzähligen kleinen Blüten an erstaunlich in dunklem Laub im Saft stehenden Stängeln zur Schau stellt und das Mutterkraut Sträußchen in Weißgelb zu bieten hat, vermag ein Gutteil des Sommergefühls auch Ende November nicht schwinden zu wollen.

Noch voll im Saft eine
Sommerlaune versprühend

Freilich müssen wir bereit sein, diese Emotionen auch mit warmer Jacke und Handschuhen zuzulassen. „Echte“ Gärtner, überraschenderweise nicht alle, die den Beruf gelernt haben, aber alle, die das große Glück dieser Aufgabe als Berufung empfinden, weil sie die Umarmung ihres grünen Reiches in jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit bei allen Wettern spüren, können das – und dies resultiert nicht primär aus dem Gegenwärtigen, sondern aus dem Zukünftigen. Sie sehen, was wieder sein wird im kommenden Jahr, sie sehen den Sommer um sich herum als zeitlose Einheit ihrer floralen Freuden. Und hängen im Überschwang eine Weihnachtskugel an den noch immer in schönster Manier blühenden Mehligen Salbeis (Salvia farinacea) oder in die schier unermüdliche Katzenminze der Sorte ’Walker‘s Low‘. In jeder Hinsicht: Es ist ein Fest!

(Jens F. Meyer ist Autor zahlreicher Gartentexte. Seine Bücher „Beetgeflüster“ gibt es in den Geschäftsstellen der Dewezet sowie im Buchhandel.)