Hameln-Pyrmont (ey). Bemitleidenswert sehen die Kastanien aus. Ein Herbstkleid ohne Glanz, das sich schon im August einstellte. Cameraria ohridella lautet der lateinische Name ihres Feindes. Die Kastanienminiermotte zwingt die Bäume, ihr Laub schon früher als gewohnt abzuwerfen. „Eigentlich können starke Bäume mit Schädlingen gut umgehen, aber in diesen Zeiten … ist das schwierig“, sagt Carsten Bölts, Leiter des Hamelner Forstamtes. Mit „in diesen Zeiten“ meint er die Trockenheit. Beziehungsweise: Dürre! Das Weserbergland leidet. Nicht nur die Kastanien, sondern im Grunde alle Wälder und alles Stadtgrün.

„Im Grunde“ ist wörtlich zu nehmen. Denn unten, ganz unten, wo die Wurzeln jahrhundertealter Eichen und Buchen die Feuchte normalerweise aufnehmen, ist nicht mehr viel Feuchte vorhanden. Kerstin Mäkler aus Bad Pyrmont „leide fast körperlich mit den Pflanzen mit und will Regen haben“. Sie wünschte sich viel mehr Menschen, „die den Ernst der Lage begreifen“. Und in der Tat: Wer dieser Tage durch die Kurstadt geht, wird nicht nur in den Straßen und Gärten, sondern auch im Kurpark alte Bäume entdecken, die bereits ein herbstliches Antlitz angenommen haben.

„Es ist unheimlich still
im Wald geworden“

„Wir haben ‚meine‘ 200-jährige alte Lieblingsbuche im Klütwald besucht, sind oft dort unterwegs. Es ist unheimlich still im Wald. Der Wald leidet leise“, sagt die Hamelnerin Sigrun van der Veen. Der Anblick dürstender Bäume treibe ihr die Tränen in die Augen. Ähnlich bestürzt ist Susanne von Blum aus Harderode, die mit ihrem Mann Hubertus auf dem Land wohnt und Landwirtschaft betreibt. „Zu unserem Hof gehört ein 150 Jahre alter Park. Lustwandeln ist vorbei: Ich stehe unter sterbenden Kastanien, Buchen und uralten Akazien. Braunes Laub, wohin ich sehe. Eicheln fallen grün herab und die Kastanien haben schon vor Wochen ihre Früchte in der Not abgeworfen. Das macht uns alle sehr traurig und der Park wird nächstes Jahr anders aussehen.“ Die Dürre, die seit Jahren schon vorherrscht, macht vor allem den alten Bäumen zu schaffen

Es sind fraglos alarmierende Zeiten. „Es ist dramatisch. Die Dürre, die seit Jahren schon vorherrscht, macht vor allem den alten Bäumen zu schaffen – also unseren Kohlenstoffspeichern und echten Sauerstoffproduzenten“, sagt Forstexperte Carsten Bölts. Man beachte: Um eine Tonne Kohlendioxid zu speichern, müsse ein Baum 80 Jahre wachsen! Bölts verdeutlicht die Dimension noch an einem anderen Zahlenbeispiel: „Eine einzige ausgewachsene Buche setzt pro Tag 400 Liter Wasser um. Das sind zwei Badewannenfüllungen, die sie mit ihren Wurzeln tief aus der Erde holt und über die Blätter verdunstet. Diese Verdunstungskühle spüren wir, wenn wir im Wald spazieren gehen.“

Aber der Boden ist trocken, die Buchen, eine der Hauptbaumarten in heimischen Wäldern, haben schwer zu kämpfen. Nicht Blätter sterben, sondern Äste brechen einfach ab, ja, ganze Kronen: vollkommen vertrocknet. Im Fachjargon heißt das dann, „dass der Baum Assimilationsfläche loswerden will, um sich zu schützen“. Die Folge: In manchen Gegenden sieht es jetzt schon aus wie im Oktober – nur nicht golden.

Noch etwas fällt auf: Die sogenannten Mastjahre häufen sich. „Eigentlich finden die nur alle sechs, sieben Jahre statt“, sagt Hubertus von Blum, der neben der Landwirtschaft auch Waldbesitzer ist. Mittlerweile lägen weitaus weniger als sechs Jahre dazwischen. Das ist insofern bedenklich, weil es salopp gesagt Ausdruck reinen Überlebens ist. Die Bäume merken, dass sich die Bedingungen verschlechtert haben, und versuchen, in diesen Zeiten so viel Nachkommen wie möglich zu schaffen, um die Art zu erhalten.

Den Wald komplett umzubauen, werde nicht funktionieren, ist Bölts sicher. Er hoffe auf die den Wäldern innewohnende Regenerationskraft. Darin steckt aber auch das Wort Regen. Im August fielen – laut Wetterstation der Stadtwerke Hameln – gerade einmal 13,5 Liter pro Quadratmeter. Oder – um die Dramatik mit einem weiteren Zahlenspiel zu untermauern: In den vergangenen 100 Tagen fielen nach Messung der Stadtwerke 100 Liter pro Quadratmeter. Ein Liter pro Tag. Kein großer Baum kann lange in solch einer Enthaltsamkeit leben.