Nach all den fabelhaften Menschen und Musikern, all den rollenden Steinen, all den rastlosen Seelen, die uns mit ihrer Musik berühren, verführen, aufwühlen, auf Reise schicken und wieder heimwärts leiten – nach all den bewegenden Hi(t)Story-Momenten und -Monumenten, die mich Blut, Schweiß und manche Träne kosteten, ist die Zeit gekommen, endlich dem Mann zu huldigen, dessen Wirken himmelhoch einzuschätzen ist. Ohne John Mayall, der neben Alexis Korner als Schlüsselfigur des britischen Blues gilt, wäre manche Karriere anders verlaufen. Eric Clapton, Peter Green, John McVie (später Fleetwood Mac), Mick Taylor (später Rolling Stones) und viele weitere waren Teil seiner Bluesbreakers in den Sechzigerjahren; er gab ihnen die Gelegenheit, sich weiter zu entwickeln, und selbst tat er es auch, ohne die Basis aus den Augen zu verlieren: die der schwarzen Musik, die kein Mitteleuropäer jemals experimenteller ausgedehnt hat. Ich wünschte mir, dass jedem Grundschüler selbst in good old Germany neben Einmaleins und Abc auch die Bedeutung dieses Mannes beigebracht würde; es wäre wichtiger als Kartoffelstempeln und Bockspringen.

Ich hab’s versemmelt, ich sah ihn nie live

Etwas habe ich wirklich voll versemmelt: dass ich nie in einem Konzert von John Mayall war. Gelegenheiten gab es, aber irgendetwas kam immer dazwischen. Nun stehe ich da, beschämt, befleckt, gebrandmarkt, weil jedes Wort, das ich über diesen brillanten Burschen schreibe, furchtbar lächerlich klingen muss. Sein Einfluss, sein Potenzial ist universumgigantisch, und als ich „Room to move“ das erste Mal hörte, haute es mich komplett aus den Schuhen! John Mayalls wilder Bluesharp-Sturm fegte mir entgegen; eine Live-Version von immensem Charakter. Kaum zwei Zeilen gesungen, bläst er furios in das kleine Instrument, bevor er zum nächsten Vers übergeht und dann erneut die Jagd der Mundharmonika eröffnet.

Sein Atmen wird Teil der Melodie, die Band nimmt sich zurück, spielt leiser, erblasst fast, als John Mayall nur mit Zunge, Lippen, Mund Sounds hervorzaubert, die beinahe albern klingen. Er schnalzt, klopft, ahmt Wassertropfen nach; es ist, als wenn sein Mund ein eigenes Orchester wäre. Nur pfeifen lässt er bleiben. Effektvolles Freudenfeuer, Zwischenjubel brandet auf, und kaum da er sich im Hektischen zu überschlagen und der Hobel in Rauch aufzugehen droht, kämpfen sich die Bluesbreakers nach vorn und nehmen den Wirbel, den der Chef entfacht hat, als Rückenwind für ihre furiose Finalfahrt. Johnnyboy, noch mal tief Luft holend, springt auf den Zug auf; ’ne letzte rasende Runde bis zum Schlussakkord.

Zwischen „Do it“, „The laws must change“, „Sonnyboy Blow“ und weiteren Glanzpunkten aus des britischen Blueskönigs reichhaltigem Gesamtwerk schillert „Room to move“ ikonisch bis in kommende Jahrhunderte, das ist mal sicher. Denn es kündet vom Freisein, vom Raum zum Atmen, den wir alle brauchen.

Room to move, that’s all I need
That’s all I ask for,
room to breathe
Room to move, that’s all I need
That’s all I ask for.
Give it to me,
Room to move
Everybody needs room to move.

Seinerzeit ein großer weißer Mann des britischen Blues, heute der große weise Mann dieses Genres. Mayall, dessen Leben und Karriere im kleinen Macclesfield bei Manchester begann und der längst wohnhaft in Kalifornien und bald 88 Jahre alt ist, sprengte als Pionier spielend die Grenze zum Classic Rock. Wie hoch die Zuneigung der Briten zu ihm ist, zeigt sich in der Auszeichnung Order oft he British Empire. Ein Ritter. Aus Leidenschaft.